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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein
Autoren: Heidi Rehn
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Weggefährte fiel ihr ein: Rudolf Kelletat. Weitaus kürzer als Fröbel, aber nicht minder aufrichtig und am Ende sogar aufopferungsvoll hatte auch er ihr einst in größter Not beigestanden. Für ihn hatte sie ebenso wie für Fröbel zunächst keine große Zuneigung empfunden. Viel zu spät erst war ihr bewusst geworden, was sie ihm und letztlich auch er ihr bedeutet hatte. Ausgerechnet dort, wo anfangs nicht einmal Zuneigung, sondern nur Vernunft gewesen war, war über die Jahre wahre Liebe gewachsen. Dagegen hatte sich da, wo zu Beginn die große, ungestüme Liebe geherrscht hatte, am Ende nur noch bittere Enttäuschung ausgebreitet. Viele Jahre waren seither vergangen. Jahre, in denen sie dank Fröbel gelernt hatte, mit dem unerträglichen Schmerz des Verlustes zu leben. Was geschehen war, war geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen. Es galt, nach vorn zu schauen. Nur so ließ sich die nötige Kraft sammeln, um das Künftige sinnvoll zu gestalten.
    Auf dem Sterbebett hatte sie Fröbel versprochen, ein Jahr zu warten, bis sie entschied, was sie tun wollte. Jetzt nahte Georgi und damit der Tag der Entscheidung. Ob es als Zeichen zu verstehen war, dass der alte Fröbel ausgerechnet am Tag des tapferen heiligen Drachentöters sein Lebenslicht ausgehaucht hatte? Der heilige Georg schützte auch die Ritter des Deutschordens und galt als Patron der Böttcher, wie Kelletat einer gewesen war. Aus dem offenen Schweinekoben drang empörtes Quieken an ihr Ohr. Sie schreckte auf.
    »Hätte ich euch doch fast vergessen!« Viel zu lang schon stand sie mitten im Hof und träumte vor sich hin. Dabei war helllichter Tag, keine Zeit für Müßiggang. Flugs bückte sie sich und hob den Korb mit Hopfenabfällen auf. Als sie auf ihren klappernden Holztrippen zum Pferch ging, streckten die Schweine vorwitzig die Schnauzen über das Gatter. Schwungvoll kippte Gunda die aussortierten Dolden hinein. Da sie nur weibliche Ähren zum Würzen verwendete, gab es immer wieder Ausschuss, mit denen sie die Schweine mästete. Gierig stürzten sich die beiden Tiere darauf und fraßen zufrieden. Voller Argwohn hatten die Hühner das beobachtet. Unter Führung des eitlen Hahns gackerten sie heran und scharrten sich um Gundas Beine. Mit einem sanften Tritt versuchte Gunda, das Federvieh auseinanderzuscheuchen. »Schaut, die Reste auf dem Boden! Seid nicht so faul und pickt sie auf.«
    Geschäftig trat sie zum Brunnen auf der gegenüberliegenden Seite des Hofs. Dankbar entdeckte sie den randvoll mit Wasser gefüllten Eimer auf der Mauer. Silbern glänzte die unberührte Oberfläche, im einfallenden Mittagslicht zum zittrigen Spiegel geworden. Versonnen betrachtete Gunda ihr Abbild. Ihren fünfunddreißig Jahren und dem Witwenstand zum Trotz fand sie sich noch recht ansehnlich: Im kupferbraunen Haar, das unter der hellen Flügelhaube hervorlugte, zeigten sich noch keinerlei Ansätze von Grau. Die hohe Stirn sowie die Partie um die rehbraunen Augen waren beruhigend glatt. In großzügigem Rund hatte sie am Morgen die Bogen ihrer Brauen gezupft und mit Indigo schwarz gefärbt. Auf Brombeersaft und Öl zum Röten der Wangen konnte sie verzichten. Ihr Antlitz schimmerte von allein rosig. Selbst der stete Dampf über der Sudpfanne hatte der Haut ihres ebenmäßigen Gesichts bislang wenig anhaben können. Weder zeigten sich spröde Risse an den voll geschwungenen Lippen, noch wies die Halspartie bis zum dreieckigen Ausschnitt des Kleides Falten auf. Zufrieden schürzte Gunda die Lippen, freute sich an den geraden weißen Zähnen in dem noch vollständigen Gebiss und tauchte die Fingerspitzen in das eiskalte Wasser. Sogleich verzerrte sich ihr Gesicht in dem flüchtigen Spiegel, löste sich in den kreisrunden Wellen auf. Gunda bespritzte ihr Antlitz und trank schließlich einige Schlucke des erfrischenden Nass aus der hohlen Hand.
    »Was tust du da?« Aus der Hintertür kam Lore in den Hof. Die breiten Hüften wiegten im Rhythmus ihrer tapsigen Schritte, über das runzelige Gesicht unter der weißen Flügelhaube huschte ein mattes Lächeln. Wie so oft versetzte Gunda der Anblick der verlebten Schönheit einen Stich. Die dreiundfünfzig Jahre sah man der Mutter inzwischen deutlich an, auch wenn sie durch sorgfältig ausgewählte Kleidung und mühevolle Körperpflege tapfer gegen das Altern ankämpfte. Das Leid des Lebens aber ließ sich weder unter aufwendigen Hauben, gestickten Bändern oder bunten Tüchern verbergen, noch ließ es sich mit duftenden
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