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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler
Autoren: Albert Cossery
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einer Geste energischer Abwehr mit den Händen vor seinen Augen herum.
    »Was für ein Unsinn!« ereiferte er sich. »O nein, das ist einfach zu kindisch, Gohar Effendi! Dein junger Freund El Kordi kam mir auch schon so. Warum seid ihr alle so versessen darauf, ein Geständnis abzulegen? Willst du zufälligerweise etwa auch die Welt verändern?«
    »Gott behüte!« sagte Gohar. »Du tust mir unrecht, Exzellenz, wenn du mich mit diesem jungen Mann gleichsetzt. El Kordi denkt vielmehr genauso wie du; auch er glaubt, daß alles nicht so einfach ist.«
    Der Kaffee war fertig; Gohar goß den Inhalt der Kaffeekanne in zwei angeschlagene Tassen, dann reichte er eine davon Nour El Dine.
    »Ich stehe zu deiner Verfügung«, sagte er. »Was gedenkst du zu tun?«
    »Im Augenblick gedenke ich gar nichts zu tun. Ich kann dich nicht auf ein einfaches Geständnis hin festnehmen. Ich brauche Beweise. Morgen werde ich eine Entscheidung treffen. Vorher muß ich noch jemandem einige Fragen stellen; alles hängt von diesem Verhör ab.«
    Plötzlich ertönte Gesang; er kam aus der Nachbarwohnung. Der Stumpf-Mann sang mit krächzender Stimme ein fröhliches, etwas verrücktes Lied. Nour El Dine hörte:
    »Kutscher, bring mich nur geschwind! zur Wohnung von Zouzou!«
    »Meine Güte, er singt!«
    »Warum sollte er nicht singen?« fragte Gohar. »Er hat allen Grund, fröhlich zu sein.«
    »Ja, zweifellos. Ich hätte trotzdem ganz gern alles verstanden.«
    Nour El Dine führte die Tasse an seine Lippen und trank einen Schluck Kaffee. Der Kaffee war bitter; so bitter wie sein eigenes Leben.
    Die strahlende Sonne stand hoch über den Spitzen der Minarette, als Yeghen am Rande des Platzes zögernd stehenblieb. Er wußte genau, daß er schon bald, im Innern der Polizeistation, nur noch von Ungerechtigkeit und Finsternis umgeben sein würde. Trotzdem fürchtete er sich nicht. Die Angst vor der Folter war nicht der Grund für sein Zögern. Er wurde ganz einfach von einem kindischen Wunsch beherrscht: seinen Spaziergang in der Menschenmenge noch ein wenig fortzusetzen. Er mochte es, in Erwartung des Unvorhersehbaren zu flanieren. Da er zuvor Haschisch geraucht hatte, fühlte er sich ruhig und ganz klar bei Verstand. Der Gedanke daran, den Repräsentanten der Staatsgewalt gegenüberzutreten, erfüllte ihn sogar mit einem einzigartigen Wohlbehagen.
    Yeghen war auf diese Vorladung gefaßt gewesen. Seit langem schon ahnte er, daß Nour El Dine, der Polizeioffizier, Übles gegen ihn im Schilde führte. Was aber wußte dieser genau? Hielt er ihn für den Mörder, oder vermutete er nur, daß ihm die Identität des Mörders bekannt war? In jedem Fall erwartete er irgendein Geständnis von ihm. Yeghen machte sich keinerlei Illusionen über die Art und Weise, wie ihn der Offizier zu verhören gedachte. Die Folter war zur Normalität in der zivilisierten Gesellschaft geworden. Gegen einen Magenkrebs konnte man schon nichts unternehmen, und noch viel weniger gegen den von Menschen zum Zwecke der Unterdrückung anderer Menschen eingeführten Terror. Yeghen nahm die Brutalitäten der Polizei ebenso hin wie unheilbare Krankheiten und Naturkatastrophen.
    Die Polizeistation befand sich auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. Ein einstöckiges Gebäude aus hellem Stein, dessen Fenster mit Eisenstäben vergittert waren. Anstatt den Platz zu überqueren, folgte Yeghen linker Hand dem Gehsteig; er hatte sich entschlossen, noch ein wenig zu flanieren. Es war elf Uhr morgens, und auf dem Platz wimmelte es von Menschen, deren geschäftiges Gebaren niemanden täuschen konnte. Yeghen bewunderte diese fortwährende Stagnation inmitten der Unordnung und trügerischen Betriebsamkeit. Ein geübtes Auge erkannte leicht, daß in Wahrheit weder etwas Dringliches noch etwas Aufsehenerregendes passierte. Trotz des Lärms der Straßenbahnen, der hupenden Autos, den kreischenden Stimmen der fliegenden Händler, hatte Yeghen den Eindruck, in einer Welt zu sein, in der die Bewegungen und die Worte für ein ewiges Leben bemessen waren. Diese Menge, die sich in der Ewigkeit bewegte, hatte die Wut aus ihrem Leben verbannt; sie schien von einer weisen Freude erfüllt, die keine Folter und keine Unterdrückung auszulöschen vermochte.
    Yeghen dachte mit hellsichtiger Gelassenheit an das Leiden, das ihn erwartete. Nicht zum ersten Mal würde er ein Verhör durchzustehen haben; die Bestialität der Polizisten barg für ihn kein Geheimnis mehr. Bisher hatte es sich aber immer um
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