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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler
Autoren: Albert Cossery
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geringfügige Delikte gehandelt, die mit dem Drogenhandel zu tun hatten. Diesmal war es etwas anderes: es ging um einen Mord. Es stellte sich die Frage, ob die Polizisten härter zuschlagen würden als sonst. Nein, sagte sich Yeghen. Unabhängig davon, ob es um eine kleine Drogensache oder um ein Schwerverbrechen ging, die Härte der Schläge wäre bestimmt die gleiche. Folglich bräuchte er keine Angst davor zu haben, schwach zu werden. Er wußte, daß der Name Gohars nie über seine Lippen kommen würde. Dabei handelte es sich keineswegs um eine Geste des Mutes oder der Opferbereitschaft für die Freundschaft. Angesichts der unzähligen Verbrechen, die ständig in der ganzen Welt begangen wurden, kam ihm der Verrat von Freunden, und selbst der seiner eigenen Mutter, unbedeutend vor. Nein, in diesem Fall ging es nicht nur um die Rettung Gohars, sondern auch darum, Nour El Dine zu zeigen, wie lächerlich die Rolle der Polizei war. Nour El Dine war die Verkörperung eines absurden Rechtssystems. Yeghen mußte ihm das Groteske seiner Situation vor Augen führen. Die Aussicht darauf rief ein Gefühl der Freude in ihm hervor, und er begann zu lachen.
    Yeghen betrat die Polizeistation. Er fand sich in einem großen Raum mit weißgekalkten Wänden wieder, in dem lediglich ein großer Schreibtisch stand, hinter dem ein Gendarmeriebrigadier saß. Mit einem emsigen und ziemlich komischen Gesichtsausdruck las dieser seine Zeitung. Yeghen trat auf ihn zu, holte seine Vorladung hervor und wartete. Der Gendarmeriebrigadier unterbrach seine Zeitungslektüre und hob den Kopf.
    »Worum geht’s?«
    Er sah Yeghen an, als verdächtigte er ihn der schlimmsten Verbrechen. Yeghen kannte diesen Blick. Seine Häßlichkeit erregte immer die besondere Aufmerksamkeit der Polizei; für diese begriffsstutzigen Dummköpfe war er die ideale Verkörperung eines mutmaßlichen Mörders. Er lächelte und reichte dem Gendarmeriebrigadier seine Vorladung. Der nahm das Papier an sich, warf einen Blick darauf und sagte dann:
    »Warte hier und rühre dich nicht von der Stelle!«
    »Ich werde schon nicht davonlaufen«, sagte Yeghen.
    Der Gendarmeriebrigadier drückte auf einen Knopf während er Yeghen drohende Blicke zuwarf. Kurze Zeit später erschien ein Polizist von bulliger Statur und grüßte vorschriftsmäßig.
    »Zu Befehl, Brigadier!«
    »Bring diesen Mann zum Herrn Offizier!«
    Der Polizist grüßte nochmals und machte Yeghen dann ein Zeichen, ihm zu folgen.
    »Komm!«
    Yeghen folgte dem Polizisten durch einen langen schmalen Gang. Beim Anblick der breiten Schultern seines Führers fühlte er seinen Willen dahinschwinden. Einem solchen Henker in die Hände zu fallen bedeutete den sicheren Tod. Vor einer Tür blieb der Polizist stehen und klopfte an. Drinnen antwortete eine Stimme. Der Polizist öffnete die Tür und stieß Yeghen vor sich her.
    »Mein Bey, der Brigadier hat mich damit beauftragt, dir diesen Mann zu bringen.«
    »Gut«, sagte Nour El Dine. »Du kannst jetzt gehen.«
    Mit düsterem und verzerrtem Gesicht saß der Polizeioffizier, den Kragen seines Waffenrocks geöffnet, hinter seinem Schreibtisch. Er war unrasiert und sah aus, als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Seine Augen glänzten fiebrig, und der Blick, den er auf Yeghen heftete, glich dem eines Mannes, der eine Tragödie durchlitten hatte.
    »Tritt näher! Ich bin erfreut, dich zu sehen.«
    »Sei gegrüßt, Herr Offizier«, sagte Yeghen.
    »Du bist zu spät«, fuhr Nour El Dine fort. »Allein dafür verdientest du acht Tage Gefängnis.«
    »Ich bitte um Vergebung, Exzellenz! Ich besitze keinen Wecker.«
    »Hör auf mit deinen Späßen! Ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt. Ich warne dich, dieses Mal ist es ernst. Du kommst hier nicht mehr lebend heraus.«
    Ohne daß er dazu aufgefordert worden wäre, griff Yeghen nach einem Stuhl und setzte sich.
    »Ich habe mein Testament bereits gemacht«, sagte er.
    Nour El Dine schwieg. Er versuchte, die Wut in den Griff zu bekommen, die ihn zu erstickten drohte. Yeghen hatte ihm also bereits mit seinen ersten Worten die Unsinnigkeit dieses Verhörs vor Augen geführt. Diese Leute nahmen nie etwas ernst. Bei den Habenichtsen, dem Gesindel, das zu niederträchtigen Verbrechen prädestiniert war, fühlte sich Nour El Dine sehr viel wohler. Denen konnte er zumindest noch Angst einflößen. Diese verdorbenen Intellektuellen aber hatten die Angewohnheit, jedes Gefühl von Autorität in ihm zu zerstören. Nour El Dine hielt sich für
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