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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler
Autoren: Albert Cossery
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gestoßen. Er ging um das Hindernis herum und verharrte regungslos, darauf gefaßt, einen Dolchstoß mitten ins Herz zu bekommen. Ihm schien, als hielte sich Samir mit dem Messer in der Hand in der Finsternis versteckt, bereit, ihn zu töten. Einen Augenblick lang packte ihn eine grenzenlose Verwirrung; dann hörte er, daß Gohar irgendwo im Dunkeln herumhantierte, und kurze Zeit später erhellte die Flamme einer Kerze das Zimmer.
    »Nimm doch bitte diesen Stuhl«, sagte Gohar. »Verzeih mir, daß ich dir nichts Besseres anbieten kann, Exzellenz. Das hier ist eine ärmliche Unterkunft. Fühle dich trotzdem wie zu Hause.«
    Nour El Dine ließ sich auf den Stuhl fallen, antwortete aber nicht. Was bedeutete dieses Gerede? Hielt er ihn für einen Dummkopf? Sich wie zu Hause fühlen! Das war der Gipfel des Irrsinns. Nour El Dine stand kurz davor zu glauben, daß boshafte Geister alles versuchten, um ihn lächerlich zu machen. Er hatte damit gerechnet, eine heruntergekommene Wohnung mit erbärmlichen und verdreckten Möbeln vorzufinden, aber nicht das; diese absolute Ärmlichkeit, diese wunderbare Leere, die so verlockend war wie eine Fata Morgana, diese Nacktheit erschienen ihm verdächtig, und er sah sich unruhig und mißtrauisch um.
    Den Rücken gegen die Wand gelehnt, saß Gohar auf dem Zeitungsstapel. Er hatte den Tarbusch nicht abgenommen und hielt immer noch seinen Gehstock in der Hand. Im Zimmer war es kalt und feucht. Nour El Dine knöpfte den Kragen seines Rocks zu, schüttelte den Kopf und sagte nach einem Moment des Schweigens:
    »Das alles übersteigt meinen Verstand, Gohar Effendi!«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Ich denke an diesen Bettler. Welche Überheblichkeit!
    Wenn man ihn so hört, dann laufen ihm alle Frauen hinterher!«
    »Vergiß nicht, Herr Offizier, daß dieser Bettler gerade wegen seiner Verstümmelung eine Goldmine ist. Das interessiert die Frauen.«
    »Trotzdem, eine so abscheuliche Kreatur!«
    »Er hat nichts Abscheuliches an sich«, sagte Gohar. »Vor allem nicht für eine Frau. Dieser Stumpf-Mann ist ein ebenso guter Liebhaber wie jeder andere auch. Und sogar noch besser als andere, wenn ich danach gehe, was ich mitangehört habe. Glaub mir, die Lustschreie der Frau waren kein Theater. Und eigentlich ist das doch recht tröstlich.«
    »Was ist tröstlich?«
    »Es ist tröstlich zu wissen«, sagte Gohar, »daß selbst ein Stumpf-Mann eine Frau befriedigen kann.«
    »Ein solches Monster?«
    »Dieses Monster besitzt uns gegenüber einen Vorteil, Herr Offizier. Er weiß, was Frieden ist. Er hat nichts mehr zu verlieren. Denk doch mal daran, daß man ihm nichts mehr wegnehmen kann.«
    »Glaubst du, daß es so weit kommen muß, damit man seinen Frieden findet?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Gohar. »Vielleicht muß man erst zu einem Stumpf-Mann werden, um zu erfahren, was Frieden ist. Mach dir doch nur einmal die Machtlosigkeit der Regierung einem Stumpf-Mann gegenüber bewußt! Was kann sie gegen ihn unternehmen?«
    »Sie kann ihn aufhängen lassen«, antwortete Nour El Dine.
    »Einen Stumpf-Mann aufhängen! Aber nicht doch, Exzellenz! Es gibt keine Regierung, die genügend Humor hätte, so etwas zu tun. Das wäre wirklich zu schön.«
    »Du bist ein eigenartiger Mensch. Liest du all diese Zeitungen?«
    »Gott behüte!« sagte Gohar. »Nein, sie dienen mir als Matratze.«
    Als Nour El Dine begriff, welche Funktion die auf dem Boden ausgebreiteten Zeitungen hatten, ergriff ihn angesichts dieses so maßlosen Elends die Panik. Selbst der allerärmste Mensch, dachte er, schlief auf einer Matratze. Wie konnte man auf einem Haufen Zeitungen schlafen? Seiner Auffassung nach war dies ein Zeichen von Wahnsinn.
    »Hast du kein Bett? Schläfst du auf diesem Zeitungshaufen?«
    »Ich schlafe schon seit Jahren so, Exzellenz! Warum beunruhigt dich das?«
    »Wie bist du in ein solches Elend geraten? Deiner Sprache nach bist du ein gebildeter Mann, ich würde sogar sagen, hochgebildet. Unter normalen Umständen hättest du eine gehobene Stellung in der sozialen Hierarchie bekleiden müssen. Und trotzdem lebst du wie ein Bettler. Hinter dieses Rätsel möchte ich gern kommen.«
    »Da gibt es kein Rätsel. Ich lebe wie ein Bettler, weil ich es so will.«
    »Bei Allah! Du bist ein erstaunlicher Mann. Deine Lebenseinstellung entzieht sich mehr und mehr meinem Verständnis.«
    »Das liegt daran, Herr Offizier, daß du dich allzuleicht verblüffen läßt. Das Leben, das wirkliche Leben, ist von kindlicher
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