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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler
Autoren: Albert Cossery
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gezogen und ihn damit bedroht. Niemals würde Nour El Dine den Haß vergessen, den er in diesem Moment in seinen Augen lesen konnte. Dieses mörderische Funkeln! Noch beim bloßen Gedanken daran erschauderte er.
    Vergessen, seinen Schmerz überwinden, das war gar nicht so einfach. Bei der Ausübung seiner Pflichten stieß er in jedem Augenblick auf den einfältigen Hochmut dieses elenden Gesindels. Dadurch wurde ihm seine Kränkung nur immer wieder von neuem zu Bewußtsein gebracht. Und warum das alles, mein Gott? Welches Vergnügen bezog er daraus? Er spürte mehr und mehr, daß er sich von diesen unzähligen sinnlosen Kämpfen, die ihm nichts als Verbitterung und Enttäuschung einbrachten, freimachen mußte. Sollten die Mörder es sich doch gutgehen lassen und in ihrem Bett sterben. Ihm konnte es nach alledem doch eigentlich egal sein.
    Es war bereits dunkel, als er aufstand und auf die Straße hinaustrat. Die gelben Lichter der Straßenlaternen schimmerten am Rande des riesigen Platzes, der von Geschäften und lärmenden Cafes umgeben war. Nour El Dine hatte es eilig und überquerte die Fahrbahn, ohne auf den wogenden Verkehr zu achten. Der Lärm der Straßenbahnen und der schnell fahrenden Autos drang nur gedämpft und wie aus großer Ferne an seine Ohren. Seit einiger Zeit hatte er den Eindruck, als würden die Dinge von ihm abrücken und als würde er sie nur noch wie durch einen Schleier wahrnehmen. Mit verstörtem Blick, den Kragen seines Waffenrocks aufgeknöpft, durch die Kraft einer unheilvollen Macht in sein Schicksal getrieben, schritt er voran. Er konnte sich nicht selbst belügen: was ihn im Augenblick an Gohar anzog, stand in keinem Zusammenhang mit den Ermittlungen im Mordfall an der jungen Prostituierten. Seit seiner Begegnung mit Gohar und vor allem seit dem Gespräch, das er mit ihm geführt hatte, als er ihn bis zu seiner Tür begleitete, hatte sich Nour El Dines Berufsauffassung geändert. Nour El Dine begann zögerlich zu werden. Er, der nie Zweifel an der heiligen Macht gehegt hatte, über die er verfügte, begann sich zu fragen, was die Wahrheit denn eigentlich war. Nichts schien ihm mehr gewiß. Trotz seiner Überzeugung, daß Gohar der Mörder war, den er suchte - ohne allerdings tatsächlich einen stichhaltigen Beweis dafür zu haben -, interessierte er sich weiterhin mehr für Gohars Persönlichkeit als für die Festnahme eines Täters. Er war sich bewußt, daß Gohar ein Problem darstellte, dessen Lösung von fundamentaler Bedeutung für sein zukünftiges Leben sein würde. Während der ganzen Zeit, die er damit verbracht hatte, die Fakten zusammenzutragen, die zu einer Anklage Gohars führen sollten, hatte er das Gefühl, mit explosivem Material umzugehen, das, wenn es erst einmal hochgegangen wäre, nichts als Trümmer zurücklassen würde. Aber er spürte auch, daß aus diesen Trümmern der Frieden hervorgehen würde; dieser Frieden, den er im Umgang mit Gohar empfunden hatte und den er im Moment ganz furchtbar vermißte.
    Nour El Dine verlor sich im Labyrinth der von den kümmerlichen Lichtern einiger weniger Straßenlaternen nur spärlich beleuchteten Gassen. Er erinnerte sich nicht genau daran, wo das Haus stand; alle diese baufälligen Häuser ähnelten einander in ihrem Zustand des allgemeinen Verfalls, in dem sie sich befanden. Er durchquerte das Viertel mehrmals, wobei er seinen Blick über die rissigen Fassaden streifen ließ und sich zu erinnern versuchte, bis vor welche Tür er Gohar an besagtem Abend begleitet hatte. Aber es war vergeblich; er wurde ganz wirr im Kopf; es gelang ihm nicht, den Ort mit Sicherheit wiederzuerkennen. Bitter enttäuscht wollte er schon wieder umkehren, als der Zufall ihm zu Hilfe kam: Als er an einer Tür vorüberging, stieß er mit jemandem zusammen.
    »Was für eine freudige Überraschung!« sagte Gohar. »Wolltest du mir einen Besuch abstatten? Sei willkommen.«
    »Ich war gerade im Viertel, und da kam mir der Gedanke, daß ich dich doch einmal besuchen könnte«, sagte Nour El Dine. »Ich hoffe, ich störe dich nicht.«
    »Ganz und gar nicht. Es ist mir eine Ehre. Ein wirklich glücklicher Zufall! Normalerweise komme ich nicht so früh nach Hause, aber ich wollte dieses Paket in meinem Zimmer deponieren.«
    Unter dem Arm trug Gohar einen großen Stapel alter Zeitungen, den er gegen die Hüfte preßte und nur mit Mühe festhalten konnte. Wegen des Gewichts seiner Last stand er mit vorgebeugtem Oberkörper da und schien außer Atem. Trotzdem
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