Gohar der Bettler
zusammen und trat einen Schritt auf den Polizeioffizier zu. Man hätte meinen können, daß dieser gerade seine Mutter beleidigt hatte.
»Mich schlagen?« empörte er sich. »Wer würde es wagen, mich zu schlagen?«
»Worüber beklagst du dich dann, du Hundesohn?«
»Ich beklage mich nicht, Exzellenz! Wer hat gesagt, daß ich mich beklage?«
Die drei Männer mit der Statur von Fuhrleuten blieben regungslos und stumm stehen. Sie verfolgten das Verhalten ihres Opfers mit boshaftem Vergnügen. Nour El Dine machte Anstalten aufzustehen; er hatte Lust, sie alle zu verprügeln. Aber plötzlich spürte er die Sinnlosigkeit seines Vorhabens und hielt sich zurück. Äußerlich war er immer noch ein in seine Uniform gezwängter Polizeioffizier, hart und unnachgiebig, aber in seinem tiefsten Inneren befand sich alles in einem Zustand der Auflösung. Er wußte nicht zu sagen, welche tödliche Krankheit von ihm Besitz ergriffen hatte und es ihm unmöglich machte, seiner Autorität Geltung zu verschaffen. Ihm schien, als gebe es die Macht, aus der er seine Kraft bezog, nicht mehr, als habe sie niemals existiert. Zum Erstaunen der Anwesenden faßte er sich mit der Hand an die Stirn und stützte sich mit einer Gebärde tiefer Niedergeschlagenheit auf seinen Schreibtisch.
Der Polizist beugte sich zu ihm herüber und fragte mit leiser Stimme:
»Bist du krank, mein Bey?«
»Sperr die ganze Bande in eine Zelle«, antwortete Nour El Dine. »Ich will sie nicht mehr sehen.«
Nachdem der Polizist und die vier Männer den Raum verlassen hatten, sah Nour El Dine den Polizisten in Zivil an, der auf einem Stuhl saß und bereits eine Zeitlang wartete. Es war derjenige, den er mit der Überwachung des Bordells beauftragt hatte.
»Was hast du mir zu sagen?«
»In Wahrheit, Exzellenz, gibt es nichts Neues zu berichten. Ich glaube, daß mein Auftrag sinnlos geworden ist. Alle dort scheinen zu wissen, wer ich bin.«
»Das wundert mich nicht bei dir. Du hast bestimmt alles getan, um dich zu verraten.«
»Trotzdem habe ich einige Dinge herausgefunden, Exzellenz! Das Geständnis dieses jungen Mannes...«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Nour El Dine. »Er hat dich zum Narren gehalten.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Versuch um Himmels willen nicht, es zu verstehen; du würdest ein Unglück heraufbeschwören! Sag mal, ist dir an diesem Gohar Effendi nichts Besonderes aufgefallen?«
»Nein. Er ist ein kluger Mann mit guten Manieren. Er kam mir nie verdächtig vor.«
»Nun gut. Ein Grund mehr, daß er es für mich wird. Du kannst jetzt gehen.«
Nachdem er allein war, nahm Nour El Dine den Kopf zwischen seine Hände und seufzte erleichtert. Er war mit den Nerven am Ende. Diese Lumpenbande ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Nour El Dine hätte sie am liebsten alle umgebracht, um nichts mehr von ihnen zu hören. Seit einiger Zeit erfüllte er die Pflichten seines Amtes auf eine groteske Art und Weise. Das Eindringen eines dunklen Elements in sein Leben versetzte ihn in einen Zustand grausamer Hilflosigkeit. Was war das nur für eine merkwürdige Schwäche und Niedergeschlagenheit, die ihn mitten in einem Verhör lähmte und jeden Willen erstickte? Er wurde noch verrückt darüber.
Das Unglaubliche war dieser Stolz, auf den er überall in seiner Umgebung stieß, und selbst bei den Allerärmsten, bei denen man ihn am wenigsten erwarten konnte. Die Erinnerung an diesen ausgehungerten Bettler, an sein aufgequollenes und blutiges Gesicht, ließ ihn nicht los. Ein seltsamer Kerl. Er wollte einfach nicht zugeben, daß er geschlagen worden war. Woher kam nur dieser Stolz? Nour El Dine sah sich vor einem Rätsel, das er nicht lösen konnte; ein Rätsel, das sich allen polizeilichen Ermittlungen entzog. Was veranlaßte ihn eigentlich dazu, weiterhin diese Arbeit zu tun, bei der man immer nur der Dumme war? Glaubte er noch an sie? Sein ganzes Leben lang diese verdammte Brut an sich vorbeidefilieren zu sehen und den unglaublichen Hochmut dieser Bettler ertragen zu müssen, welch ein erbärmliches Vergnügen! Und das, während er selbst jeden Stolz aufgegeben hatte. Hatte er sich nicht beinahe vor Samir auf dem Boden gewälzt, nur um ihn zu erweichen? Und das Bitterste dabei war, daß diese schändliche Selbsterniedrigung nichts genutzt hatte; der junge Mann ließ sich nicht erweichen, legte eine frostige Feindseligkeit an den Tag. Und als er versucht hatte, ihn zu berühren - die unglücklichste aller Gesten -, hatte Samir ein kleines Messer aus der Tasche
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