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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler
Autoren: Albert Cossery
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menschlichen Wrack war für ihn einfach unvorstellbar. Ihm schien, als plusterte sich der Stumpf-Mann schamlos auf, wenn er von der Anziehungskraft sprach, die er auf die Frauen ausübte. Was ihn besonders an ihm faszinierte, war das Fehlen jeglicher Gestik; dieser Umstand verlieh den Äußerungen des Stumpf-Mannes einen ernsten und feierlichen Ton, die kalte Würde eines sprechenden Automaten. Nour El Dine hätte gern zu lachen angefangen, aber ein Reflex, der mit seinem Beruf zusammenhing, hielt ihn zurück. Was auch immer passierte, er mußte seine Seriosität wahren. Er war hierhergekommen, um einem Rätsel auf die Spur zu kommen; vielleicht würde er am Ende ja alles verstehen.
    Der Stumpf-Mann aß mit schier unstillbarem Appetit. Von Zeit zu Zeit warf er Nour El Dine einen verstohlenen Blick zu; er konnte einfach noch nicht glauben, daß dieser Offizier ihm lediglich einen Höflichkeitsbesuch abstattete. Aus Furcht vor einer Festnahme schlang er das Essen zu hastig in sich hinein; er schien Gohar anzuflehen, sich zu beeilen und ihn vor allem nicht allein zu lassen.
    »Mach dir keine Sorgen, sie wird bestimmt zurückkommen«, sagte Gohar.
    »O nein, ich habe die Nase voll von ihr«, sagte der Stumpf-Mann. »Soll sie sich doch woanders vögeln lassen. Ich habe genug von ihr. Abgesehen davon wird sie mir zu alt. Ich werde sie verstoßen. Ich habe die Absicht, eine unberührte junge Frau zu heiraten.«
    Er lächelte obszön, sah Gohar an und fügte hinzu:
    »Was hältst du davon?«
    Gohar rief sich das furchtbare Weib in Erinnerung und war glücklich darüber, bald eine junge Nachbarin zu haben.
    »Ich denke, du hast recht«, antwortete er. »Es ist immer von Vorteil, eine junge Frau zu haben. Das ist zweifelsohne angenehmer.«
    »Nicht wahr? Ich habe große Lust auf eine kleine Jungfrau. Ich hoffe, du wirst mir die Ehre erweisen und zu meiner Hochzeit kommen. Ich werde ein Hochzeitsessen geben.«
    »Ich werde bestimmt dabeisein«, sagte Gohar. »Möchtest du etwas trinken?«
    »Ja, bitte. Der Wasserkrug steht da.«
    Der Wasserkrug stand hinter Gohar an der Wand. Er nahm ihn, führte ihn an den Mund des Stumpf-Mannes und gab ihm zu trinken.
    »Ich danke dir«, sagte der Stumpf-Mann, nachdem er getrunken hatte. »Glaub mir, ich bin untröstlich, deine Liebenswürdigkeit derartig auszunutzen.«
    »Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen«, sagte Gohar.
    »Ich stehe in deiner Schuld. Es wäre mir eine große Freude, auch dir einmal einen Gefallen zu tun.«
    »Ich bin dein ergebener Diener«, sagte Gohar. »Ein Nachbar wie du ist ein Segen des Himmels.«
    Dieser Austausch ausgesuchter Höflichkeiten war ganz und gar nicht nach dem Geschmack Nour El Dines. Er begann sich zu fragen, ob Gohar und der Stumpf-Mann sich nicht über ihn lustig machten. Einen Augenblick lang trug er sich mit dem Gedanken zu gehen, dieser Höllenvision zu entfliehen. Aber irgend etwas hielt ihn gegen seinen Willen zurück: er hätte das alles so gern verstanden. Wenn sie ihm doch nur erklären wollten, wie dieser Stumpf-Mann, dieser menschliche Abschaum, die Eifersucht einer Frau wecken konnte. Aber nein, Gohar unterhielt sich weiterhin mit dem Stumpf-Mann, wobei er Höflichkeitsbezeigungen an den Tag legte, als würde es sich um eine Unterhaltung zwischen Männern von Welt handeln. Nour El Dine gewann fast den Eindruck, lästig zu sein, wie angesichts eines Liebespaar, das sich gerade liebkost. Sein Wunsch, sich von diesem Ort zu entfernen, wurde immer stärker. Langsam tat er ein paar Schritte zurück und fand sich mit einem Mal allein im dunklen Hausflur wieder. Es war aber bereits zu spät, um der Falle zu entkommen, die ihm das Schicksal stellte. Er hörte schon die Stimme Gohars, der sich gerade von dem Stumpf-Mann verabschiedete.
    »Gehab dich wohl! Ich werde dich bald einmal wieder besuchen.«
    Gohar kam auf Zehenspitzen heraus. Er vermied es sorgsam, den Gehstock auf den Boden zu setzen und verhielt sich überhaupt äußerst vorsichtig, so als fürchtete er, den Schlaf eines Kranken zu stören. Mit dem heiteren Gesichtsausdruck eines Menschen, der gerade einem lustigen Schauspiel beigewohnt hat, ging er über den Flur und öffnete die Tür seines Zimmers.
    »Nach dir, Exzellenz.«
    Nour El Dine zögerte, bevor er über die Schwelle trat, doch dann wagte er sich mutig in die Dunkelheit vor, wie jemand, der entschlossen ist, sich in einen Abgrund zu stürzen. Er blieb stehen, ihm stockte der Atem: er war gegen einen Gegenstand aus Holz
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