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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler
Autoren: Albert Cossery
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einen vernünftigen Menschen; das heißt, er glaubte an die Regierung und an das, was die Minister in ihren Reden sagten. Er setzte blindes Vertrauen in die Institutionen der zivilisierten Welt. Die Einstellung von Yeghen und seinesgleichen verunsicherte ihn immer wieder aufs neue; sie schienen nicht zur Kenntnis zu nehmen, daß es eine Regierung gab. Sie waren nicht gegen die Regierung; sie nahmen sie einfach nicht zur Kenntnis.
    »Ich werde deine dummen Scherze nicht länger hinnehmen. Du bist hier, um verhört zu werden. Es geht um Mord!«
    Yeghen lächelte selig.
    »Ich stehe ganz zu deinen Diensten, Exzellenz!«
    Er saß zusammengekauert auf seinem Stuhl, auf alles gefaßt. Er wußte, daß das alles mit Schlägen enden würde. Er würde nichts sagen. Durch die Gitterstäbe der geschlossenen Fenster hindurch sah er das Treiben auf dem Platz und hörte den ohrenbetäubenden Lärm der Autos. Draußen ging das Leben also weiter.
    »Gut«, sagte der Offizier, »fangen wir von vorne an. Ich warne dich aber noch einmal, es ist mir Ernst und ich erwarte präzise Antworten von dir. Ich bin mir sicher, daß du über viele Dinge Bescheid weißt.«
    »Ich?« sagte Yeghen. »Das ist wirklich zuviel der Ehre, Herr Offizier!«
    »Sag mir, warst du am Tag der Mordtat bei Set Amina?«
    Yeghen tat so, als würde er nachdenken.
    »Um dir die Wahrheit zu sagen, Exzellenz, ich habe geschlafen.«
    »Als die junge Arnaba ermordet wurde, wo warst du da?«
    »Ich sagte es dir doch schon, Exzellenz, ich habe geschlafen.«
    Nour El Dine behielt die Ruhe; einen Augenblick lang schwieg er, ernst dreinblickend. Für ihn bestand kein Zweifel; Yeghen stellte sich dumm.
    »Ich weiß mit absoluter Sicherheit, daß du an diesem Tag im Bordell warst. Wem bist du dort begegnet?«
    »Ich habe geschlafen, Exzellenz!«
    »Und während du schliefst, ist da niemand gekommen?«
    »Wie soll ich das denn wissen, Exzellenz, ich habe ja geschlafen.«
    »Bei Allah! Schläfst du denn immer, du Hundesohn!?«
    »Entschuldige bitte, Herr Offizier, aber ich wußte nicht, daß Schlafen etwas Illegales ist.«
    »Nun gut, ich werde dich schon wecken.«
    Nour El Dine war am Ende; die Dummheit einer solchen Verteidigung überstieg seinen Verstand. Er schlief, dieser Teufel! Er mußte Haschisch geraucht haben, bevor er hierherkam . Er wußte, daß Yeghen imstande sein würde, bis zum Schluß an dieser unerschütterlichen Position festzuhalten.
    »Ich gebe dir fünf Minuten Bedenkzeit. Danach werde ich dich schon zum Sprechen bringen.«
    Yeghen wollte schon antworten, daß er geschlafen habe, aber als er merkte, daß der Offizier ihm gar keine Frage stellte, schwieg er. In fünf Minuten würde die Folter anfangen. Er begann an nichtssagende Dinge zu denken.
    Nour El Dine blickte auf seine Uhr, dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück und wartete. Dieses Verhör geriet zur Posse. Es diente lediglich dazu, sein Vertrauen in die Justiz und die Staatsmacht noch stärker zu erschüttern. Er war jetzt davon überzeugt, daß Yeghen nichts sagen würde; selbst unter der Folter würde er nichts preisgeben. Diese Haltung paßte nicht zu ihm, sie war sogar ziemlich beunruhigend. Nour El Dine war sich absolut sicher, daß Yeghen den Mörder kannte. Warum schwieg er also? Der Mörder konnte ihm nichts für sein Schweigen bezahlt haben; das Verbrechen hatte dem Täter ja nichts eingebracht. Um eine Frage der Ehre handelte es sich auch nicht. Nour El Dine kannte die Vergangenheit Yeghens gut genug, um zu wissen, daß er auf solche Werte noch nie etwas gegeben hatte.
    Er fragte:
    »Fürchtest du dich nicht vor Schlägen?«
    »Nein«, antwortete Yeghen.
    »Das ist unmöglich.«
    »Im Leben eines Mannes wie ich einer bin sind Schläge nichts Ungewöhnliches, Herr Offizier! Sie sind etwas Alltägliches.«
    »Du besitzt keine Würde.«
    Yeghen lachte hämisch.
    »Du erinnerst mich an meine Mutter«, sagte er. »Meine Mutter sagt mir immer, daß mein Vater ein ehrenwerter Mann war und ich das schwarze Schaf der Familie sei.«
    »Hast du denn überhaupt kein Gefühl? Empfindest du nichts?«
    »Doch, Exzellenz! Im Moment empfinde ich großes Erstaunen.«
    »Welche Art von Erstaunen?«
    »Ich bin erstaunt, daß ein Mann wie du seine Zeit mit so unangenehmen Spielereien vergeudet.«
    »Womit sollte ich denn deiner Meinung nach meine Zeit verbringen?«
    »Geh spazieren!« antwortete Yeghen.
    Nour El Dine wurde leichenblaß.
    »Ich sehe, daß bei dir nichts zu machen ist. Du wolltest es ja
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