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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler
Autoren: Albert Cossery
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Einfachheit. Es gibt kein Rätsel, nur Schweinehunde.«
    »Wen bezeichnest du als Schweinehunde?«
    »Wenn du nicht weißt, wer die Schweinehunde sind, dann bist du ein hoffnungsloser Fall. Das ist das einzige, was einem niemand beibringen kann, Herr Offizier.«
    Die Hände zwischen die Knie geklemmt, ließ Nour El Dine den Kopf sinken; er schien über ein schwerwiegendes und quälendes Problem nachzudenken.
    »Das Ganze ist etwas komplizierter«, sagte er schließlich. »Es gibt nicht nur die Guten und die Schweinehunde.«
    »Nein«, erwiderte Gohar. »Diese feinen Unterschiede lasse ich nicht gelten. Erzähl mir nicht, das Ganze sei etwas komplizierter. Warum begreifst du nicht, daß lediglich die Schweinehunde von dieser angeblichen Kompliziertheit profitieren?«
    Nour El Dine schwieg resigniert. Einmal mehr hatte sich der Überdruß seiner bemächtigt. Dieses leere Zimmer vermittelte ihm ein beruhigendes Gefühl, schien ihn vom Rest des Universums abzusondern. Er stellte sich vor, wie er, glücklich und untätig, frei von Angst, auf einem Haufen Zeitungen schliefe. Wozu anderswo nach einem unmöglichen Glück suchen? Es stimmte, daß einem in diesen vier Wänden, in diesem geistreich eingerichteten Nichts, nichts zustoßen konnte. Gohar hatte zweifellos recht. Wie ein Bettler zu leben, das hieß, dem Weg der Weisheit zu folgen. Ein Leben im ursprünglichen Zustand, ohne Zwang. Nour El Dine träumte von der Annehmlichkeit des freien und stolzen Bettlerdaseins, bei dem man nichts zu verlieren hatte. Er könnte sich schließlich seinem Laster hingeben, ohne Furcht und Scham. Er wäre sogar stolz auf dieses Laster, das ihm viele Jahre lang die schlimmsten Qualen bereitet hatte. Samir kam ihm wieder in den Sinn. Sein Haß würde wie von allein verschwinden, sobald er ihm ohne die Embleme der Macht entgegentrat, bar seiner Vorurteile und seiner schleimigen Moral. Weder seine Verachtung noch seinen Sarkasmus hätte er noch zu fürchten.
    Aber es war nicht leicht, der Verführung nachzugeben. Er erhob sich von seinem Stuhl und machte ein paar Schritte im Zimmer auf und ab; als er dann zu seinem Platz zurückkehrte, blieb er vor Gohar stehen. Einen Moment lang bewunderte er das ruhige Gesicht seines Gastgebers, das vom flackernden Widerschein der Kerze beleuchtet wurde. Dieser Mann hatte zweifellos ein Verbrechen begangen, und trotzdem strahlte sein Gesicht absolute Gelassenheit aus. Er erschien ihm wie ein vollkommener Fremdkörper in der ihn umgebenden wirklichen Welt, unzugänglich für Angst und Leid. Ein klagender Seufzer drang aus der Brust Nour El Dines. Er fühlte, daß er noch nicht reif war für diese Ruhe, diese vollkommene Gleichgültigkeit, die das Leben als Bettler ihm abverlangen würde. Er war immer noch zu sehr den Zwängen seines Berufes unterworfen; sein Pflichtgefühl drängte ihn, seinen Auftrag zu erfüllen. Er konnte die Tatsache nicht völlig vergessen, daß er ein Polizeioffizier war, dessen Aufgabe darin bestand, dem Gesetz Geltung zu verschaffen, und der sich deshalb hier befand, um den Mord an einer jungen Prostituierten aufzuklären.
    »In Wahrheit bin ich gekommen«, sagte er, »um dir ein paar Fragen zu stellen.«
    »Ich höre«, sagte Gohar. »Du kannst mir alle Fragen stellen, die du willst.«
    »Es geht immer noch um diesen Mord im Bordell«, fuhr Nour El Dine fort, indem er sich wieder auf den Stuhl setzte.
    »Ich weiß«, sagte Gohar. »Ich habe deinen Besuch erwartet. Sprich, und ich werde dir antworten. In der Zwischenzeit werde ich dir einen Kaffee zubereiten. Entschuldige bitte, daß ich dir noch nichts zu trinken angeboten habe.«
    »Ich möchte nichts«, sagte Nour El Dine. »Mach dir wegen mir keine Umstände.«
    Gohar zündete jedoch den kleinen Spirituskocher an und begann Kaffee zu kochen. Während er Wasser in die Kaffeekanne goß, beobachtete er schweigend Nour El Dine. Er war gespannt, wie die Auflösung des Falls vonstatten gehen würde. Aber der Polizeioffizier stellte keine Fragen. Er schien in einem fernen Traum verloren.
    Es war Gohar, der fragte:
    »Verdächtigst du jemanden?«
    »Wenn ich ehrlich bin, muß ich zugeben, daß ich dich verdächtige«, antwortete Nour El Dine mit einem verstörten Gesichtsausdruck.
    »Dann beglückwünsche ich dich, Exzellenz«, sagte Gohar. »Das siehst du ganz richtig. Ich bin der Mörder.«
    Dieses unerwartete Geständnis hatte auf Nour El Dine die Wirkung einer Katastrophe. Er schüttelte heftig den Kopf und fuchtelte zugleich in
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