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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall
Autoren: Sandra Lüpkes
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sollte es bereits losgehen. Gut, das wäre machbar, Wenckes Mutter wollte ohnehin vorbeischauen, um mal wieder etwas Zeit mit Enkel Emil zu verbringen. Und es wäre bestimmt von Vorteil, sich eifrig zu zeigen, sich als Stütze der Abteilung zu präsentieren, insbesondere weil die Kosian nicht da war, um ihr die Tour zu vermasseln. Doch dann kapierte Wencke, was diese seltsame Abbildung zu bedeuten hatte. Das war keine Sprechblase, das war die Silhouette von …
    »Island? Das Symposium ist auf Island?«
    Allem Anschein nach hatte das außer Wencke jeder im Raum gewusst. »Island ist einer der aktuellen Kandidaten für einen EU-Beitritt. Mit dieser Einladung wollen sie ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit demonstrieren. Gesponsert wird das Ganze von AlumIn-Terra , einem der größten Leichtmetallwerke weltweit, die lassen sich das richtig was kosten.« Der Mann konnte schief grinsen, was ihn ulkig aussehen ließ. »Und was haben Sie gegen Island?«
    »Nichts. Es ist nur so weit … nördlich.«
    Nun schlug er wieder die erste Akte auf, die mit den einzelnen Mitarbeitern der Abteilung und den angehefteten Sparplänen des Ministers. Wencke erkannte ihr Konterfei auf dem Personalbogen, er lag verdächtig weit oben. »Wie ich sehe, sind Sie ein echtes Nordlicht, Frau Tydmers. Geboren in Worpswede, lange Zeit als Hauptkommissarin in Ostfriesland tätig. Dann schlage ich doch spontan vor, dass Sie sich diese Woche an den Polarkreis begeben.«
    Nein, er schlug es nicht vor, dann hätte Wencke ja die Gelegenheit gehabt, sich eine gute Ausrede einfallen zu lassen. Doch er erhob sich mit der letzten Silbe, griff nach dem einzig verbliebenen Keks auf dem Teller und bedankte sich für die angenehme Gesprächsrunde. Bevor er den Sitzungssaal verließ, legteer Wencke einen schrecklich dicken Ordner vor die Nase. Welcome to Iceland stand auf dem Deckel . Damit galt sein Vorschlag als einstimmig angenommen.
    [11. Juni, 17.30 Uhr, Dieselstraße,
    Hannover-Limmer, Deutschland]
    Blitze zuckten durch die Wohnung und Wencke wurde kurz nach dem Betreten des Flurs von lauten Schreien begrüßt. »Hilfe, ich schaff das nicht! Verdammt!«
    Natürlich musste man als alleinerziehende Mutter in Sachen pädagogisch wertvolle Freizeitgestaltung manchmal Abstriche machen. Emil hockte eben lieber vor dem Fernsehapparat und erlebte in der quietschbunten Welt der Spielkonsole die absurdesten Abenteuer, als sich seinen Matheaufgaben zu widmen. Heute hatte er seinen Kumpel John mitgebracht. Die beiden hatten sich Cornflakes gegönnt und besiegten gerade eine giftgrüne, diabolisch grinsende Seifenblase.
    »Emil, hast du nach der Post geschaut?«
    »Hä?« Erst jetzt bemerkte er, dass seine Erziehungsberechtigte die reale Welt ihres Wohnzimmers betreten hatte. »Zwei Briefe für dich, glaub ich.«
    »Wo liegen die?«
    »Unter dem … Ey, John, du musst die Banane nehmen, jetzt! Schnell! Die Banane!«
    »Unter dem was?«
    Auf dem Bildschirm explodierte die Seifenblase und Triumphmusik ertönte. Die beiden Jungen klatschten sich ab. Wencke griff nach der Fernbedienung und schaltete den Apparat aus. »Schluss jetzt, Jungs. Das Wetter ist schön und die Welt da draußen spannend genug.«
    Zum Glück akzeptierten beide die Ansage klaglos.
    »Und wo finde ich jetzt meine Post?«
    Emil drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Unter dem Kühlschrank. Sorry, die ist mir aus der Hand gefallen und dann irgendwie dahin gerutscht.« Er schnappte sich seine Jacke.
    »Um sieben gibt es Abendbrot!« Ob es wirklich so eine gute Idee war, wenn Oma Isa ab Mitte der Woche die Sache hier übernahm? Wenckes Mutter war Künstlerin in jeder Hinsicht, sie malte, hielt sich jugendliche Liebhaber, lebte in einer Wohngemeinschaft und verachtete Regelmäßigkeit. Den Satz Um sieben gibt es Abendbrot hatte Wencke als Kind nie zu hören bekommen.
    Wencke hatte den Rest des Arbeitstages damit verbracht, neben der Kinderbetreuung auch noch alles andere irgendwie zu regeln, damit sie übermorgen sorglos ins Flugzeug steigen konnte. Sie hatte Tilda Kosian auf dem Handy erreicht und ein Treffen für den nächsten Tag vereinbart, um sämtliche Tickets und die nötigsten Informationen auszutauschen.
    Zugegeben, bei allem Stress, dem Wencke jetzt so plötzlich ausgesetzt war – Symposien dieser Art hasste sie mehr als Windpocken und Masern zusammen –, die Aussicht auf Ablenkung war doch verlockend. Sie würde gar nicht dazu kommen, an Axels Vaterglück zu denken. Hoffte sie
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