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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall
Autoren: Sandra Lüpkes
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waren sie einfach zu unterschiedlich. Sie hatten eine lustige Zeit gehabt und bestimmt gab es ein paar Fotos, auf denen sie irgendwo in Bad Iburg standen und um die Wette grinsten. Silvie erinnerte sich an einige wenige Kneipenbesuche, doch da hatte sich schon deutlich gezeigt, dass sie anders tickte als Doro und Wencke. Schon immer trank sie Alkohol lediglich in Maßen und verabscheute Zigarettenqualm. Doch der eklatanteste Unterschied war wohl ihre politische Einstellung gewesen. Dorothee Mahlmann stand damals so weit links, protestierte gegen Castortransporte, engagierte sichfür die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft  – es war Silvie ein Rätsel, was eine Frau mit diesen Überzeugungen überhaupt in den Reihen der Polizei zu suchen hatte. Nur ein einziges Mal hatte Silvie es gewagt, ihre Sympathie für die konservative Politik im Lande zu äußern, und Karl Hüffart als einen überragenden Staatsmann bezeichnet, da hatte es gleich ordentlich gekracht im Dreibettzimmer 247.
    Silvie kannte auch den Spitznamen, den man ihr damals auf der Akademie verpasst hatte: Eiserne Jungfrau  – nicht gerade originell! Bloß, weil sie bereits damals in der Wahl ihrer Partner anspruchsvoll gewesen war. Und hatte es sich nicht gelohnt? Während Wencke noch immer Tydmers mit Nachnamen hieß, also unverheiratet zu sein schien, und Doros Affäre mit einem Hochkriminellen denkbar böse geendet hatte, war sie selbst inzwischen mit dem Helden ihrer Jugendtage verheiratet, lebte in seinem schicken Bungalow in Bad Iburg, bereiste an der Seite ihres Mannes die ganze Welt und konnte sich einen eigenen Sekretär leisten, der sie vor unangenehmen Zeitgenossen bewahrte – meistens jedenfalls.
    »Warum sollten Doros Eltern nach all den Jahren noch nachtragend sein?«, fragte Wencke weiter.
    Eigentlich kannten sie beide die Antwort: weil sie Doro im Stich gelassen hatten. Nicht nur damals im Januar vor fast zwanzig Jahren. Sondern auch – oder gerade in den Jahren danach. Sie hatten beide keine Glanzleistung in Sachen Mitmenschlichkeit abgeliefert. Einmal waren sie in diesem Heim gewesen. Ein einziges Mal. Danach war ihr Leben weitergegangen und Doro hatte nicht mehr daran teilgenommen.
    »Wenn das alles war, Wencke, dann entschuldige mich bitte. Wie gesagt, ich hab noch einiges zu tun. Mein Mann und ich gehen auf Reisen und …«
    »Wirst du ihm von dem Brief erzählen?«
    »Wie bitte? Nein, warum sollte ich das tun?« Silvie warempört. »Hör mal, Wencke, Karl ist ganz sicher nicht daran interessiert, deine …«
    »Ich habe läuten hören, er sei dement?«
    »Das ist ein böses Gerücht. Karl ist absolut gesund.« Silvie merkte selbst, es klang, als würde sie gerade eine alte Langspielplatte abspielen. Immer musste sie Karl vor diesen bodenlosen Verleumdungen schützen. »Zudem geht er auf die dreiundsiebzig zu und hat ein unglaublich anstrengendes Leben hinter sich, da ist es bewundernswert, wozu er in seinem Alter noch in der Lage ist.«
    »Kann er sich eigentlich noch an die Sache mit Jan erinnern?«, bohrte Wencke weiter.
    »Was glaubst du denn? Dass ein Vater seinen Sohn vergisst?« Silvies Stimme wurde lauter. Erst jetzt fiel ihr auf, dass die Musik bereits geendet hatte und sie ihre Empörung in den stillen Raum rief. Warum regte sie sich eigentlich so auf? Weil gerade jemand zielsicher ihren wunden Punkt traf?
    »Ich werde jetzt auflegen, Wencke. Die Angelegenheit scheint sich ja geklärt zu haben. Deine Frotzeleien möchte ich mir nicht weiter anhören.«
    »Warte, eine Frage noch! Hast du eine Ahnung, wer damals das Foto gemacht hat?«
    »Keinen Schimmer. Also tschüss …«
    »War es Frankie?«
    »Wer?«
    »Stell dich doch nicht so begriffsstutzig, Silvie. Du weißt, wen ich meine: Frank-Peter Götze. Doros Freund.«
    »Lass mich in Ruhe! Lass meinen Mann in Ruhe! Wir wollen mit dem ganzen verdammten Scheiß von damals nichts mehr zu tun haben!« Schluss jetzt, entschlossen drückte Silvie den roten Knopf und beendete das Telefongespräch.
    Trotzdem behielt sie noch geschlagene fünf Minuten den Hörer in der Hand und dachte darüber nach, was gerade passiertwar. Nicht unbedingt, warum sie losgegangen war wie eine Silvesterrakete, sondern auch, weshalb Wencke sich zu solchen Provokationen hatte hinreißen lassen. Wer wollte schon unbedingt an Doro denken? An Jan Hüffart? Und vor allem an Frank-Peter Götze? Es wäre doch für alle Beteiligten viel einfacher gewesen, diesen Brief zu ignorieren, ihn im
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