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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall
Autoren: Sandra Lüpkes
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»Hey, Wencke, es tut mir schrecklich leid, aber es ist passiert. Ich werde Vater. Kerstin erwartet ein Kind von mir. Wir können uns nicht mehr sehen.«
    Die Ampel wechselte auf Grün. Wencke schob sich auf den Sattel, trat in die Pedale, radelte an diesem sonnigen Tag den beiden Baby-Frauen entgegen, die ja überhaupt nichts dafürkonnten, wie sie sich gerade fühlte.
    Heute standen ausnahmsweise eine Menge Fahrräder vor dem Landeskriminalamt, bei dem Wetter stieg selbst der eingerostetste Beamte auf Drahtesel um. Wencke versuchte sich zwischen zwei Mountainbikes zu quetschen und hörte die Marktkirchenuhr schlagen. Punkt neun.
    »Wencke!« Eine Hand legte sich von hinten auf ihre Schulter. »Lass uns gemeinsam nach oben gehen und den Rüffel fürs Beinahe-Zuspätkommen kassieren.« Boris Bellhorn musste beim Friseur gewesen sein, das war nicht unüblich, er ließ sich die Haare mindestens doppelt so oft stylen wie Wencke. In letzter Zeit vielleicht auch noch häufiger, lag wohl an seiner neuen Liebe: Marius, 22 Jahre, Musiker. »Hast du wenigstens eine gute Ausrede, wenn die Kosian uns gleich zur Rede stellt?«
    Wencke mochte ihren Kollegen. Wenn überhaupt jemand in der Lage war, ihre Laune an diesem Tag zu bessern, dann er. »Ich habe Liebeskummer«, gab sie zu. Sie tippten an der Pforte den Zahlencode ein und stießen die Glastür auf. Der Fahrstuhlwartete unten auf sie. »Axels Frau ist schwanger. Und zwar ziemlich schwanger.«
    »Oh!« Boris drückte auf die Vier, der Aufzug schwebte nach oben.
    »Er wird sich nie entscheiden. Axel ist einfach nicht der Typ, der seine angetraute und noch dazu blinde Frau sitzen lässt. Das gemeinsame Kind kommt lediglich erschwerend hinzu.«
    »Aber gerade das liebst du ja an ihm«, vollendete Boris den Gedanken. »Dass er eben nicht so ein Typ ist.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Schicksal!« Boris streichelte kurz ihren Oberarm. »Irgendwann ergibt das Ganze mal einen Sinn.«
    »Ich glaube nicht an Schicksal«, sagte Wencke, als sich die Fahrstuhltüren aufschoben.
    Die gesamte Abteilung schaute ihnen erwartungsvoll entgegen, auch der Ministeriumsfuzzi stand schon da, stilecht mit Zweireiher und Doppelkinn, bloß die Kosian war nirgends zu entdecken.
    »Es gab einen Hausbrand«, berichtete die Sekretärin mit betroffener Miene. »Keine Sorge, Frau Kosian geht es so weit gut, sie konnte sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Doch sie hat nun einiges zu erledigen. Stellen Sie sich vor, die ganzen Möbel, die Kleidung, die persönlichen Sachen – alles unbrauchbar.«
    Welche persönlichen Sachen, dachte Wencke und biss sich auf die Lippen. Tilda Kosian war einfach nicht der Typ Frau, dem man Dinge wie Fotoalbum oder Tagebuch zuordnen würde. Schon eher wäre der Kosian zuzutrauen, dass die erste Sache, die sie aus ihrer brennenden Wohnung rettet, eine Rosshaarbürste wäre, danach Zahnseide und an die hundert gestärkte Blusen, die dort im Schrank hängen mussten.
    »Was genau ist passiert?«, fragte Boris.
    »Die Brandermittlung ist natürlich noch vor Ort, hat abernoch nichts Konkretes verlauten lassen. Derzeit gehen sie von einem Kabelbrand im Verteilerkasten aus.«
    »Aber Frau Kosian lebt doch in einem Neubau, oder nicht?«
    Die Sekretärin nickte. »Alles ganz modern und hochwertig, sie wohnt ja auch nicht irgendwo, sondern in Großburgwedel – übrigens Tür an Tür mit der Exfrau unseres ehemaligen Bundespräsidenten.« Dabei schaute sie triumphierend in Richtung Minister-Hiwi, als hätte die Tatsache eine Bedeutung, wenn es darum ging, die Abteilung zusammenzustreichen.
    Der gab sich jedoch unbeeindruckt und schlug vor, jetzt endlich ins Besprechungszimmer zu wechseln, man werde auch ohne Frau Kosian über das Wesentliche reden können. Auf dem ovalen Tisch standen Kaffee, Wasser, Saft und die üblichen Kekse, die es nur gab, wenn sich offizielle Würdenträger blicken ließen. Wenn die OFA  – also das Team der Operativen Fallanalyse des LKA Niedersachsen – sonst in größerer Runde tagte, musste jeder sein Butterbrot selbst mitbringen.
    »Meine sehr geehrten Damen und Herren«, leitete der Hochoffizielle ein. Das hörte sich an, als säße er einer gewaltigen Truppe gegenüber. Tatsächlich aber bestand diese Abteilung nur aus einem knappen Dutzend bunt zusammengewürfelter Leute, die aus verschiedenen Bereichen kamen. Lediglich Boris, Wencke und die Kosian widmeten sich als Ganztagskräfte der Methode, die in den Medien immer so schick Profiling
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