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Glut und Asche

Glut und Asche

Titel: Glut und Asche
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht«, antwortete Andrej. Er war verwirrt und auch ein bisschen erschrocken. Er war vollko m men sicher, etwas gehört zu haben. Und doch wusste er, dass es niemandem gelingen würde, sich unbemerkt an ihn anzuschle i chen.
    »Du weißt nicht, nach wem du suchst?«, vergewisserte sich Frederic ungläubig. »Was Ist denn das für ein Unsinn?«
    »Ich habe ... eine Geschichte gehört über diese Gegend hier«, sagte Andrej zögernd.
    »In deiner vornehmen Pension?«, vermutete Frederic .
    »Schon vorher«, antwortete Andrej kopfschüttelnd. »Schon bevor Ich nach London gekommen bin. Um ehrlich zu sein«, fügte er mit einem Schulterzucken hinzu, »Ist das der Grund, warum ich überhaupt hier bin.«
    »Was für eine Geschichte?«, fragte Frederic .
    »Es soll hier in den letzten Monaten mehrere Morde gegeben haben«, antwortete Andrej.
    »Das hat es«, bestätigte Frederic und machte ein bede u tungsvolles Gesicht. Bess kicherte. Und eines der anderen Mädchen auch.
    »Was Ist an dieser Frage so komisch?«
    »Hier gibt es andauernd Morde«, antwortete Frederic, und nun blitzte es auch In seinen Augen amüsiert auf. »Und nur ganz wenige davon werden auch aufgeklärt. Leute verschwi n den, und das Interessiert niemanden. Schon gar nicht den Sh e riff und seine Männer. Die sind doch froh, wenn es ein paar weniger von uns gibt.«
    »Diese Art von Morden meine Ich nicht«, antwortete Andrej. »Ich habe gehört, es hätte eine Anzahl ... seltsamer Toter geg e ben.«
    »Seltsame Tote«, wiederholte Frederic . »Was soll das sein?« Er log. Er log gut, weil er darin offensichtlich eine gewisse E r fahrung hatte, aber er wusste ganz genau, wovon Andrej sprach.
    Andrej zögerte jedoch, Ihm gleich zu antworten, und er war plötzlich nicht einmal mehr sicher, ob er es überhaupt tun sollte. Diese Kinder hatten weder vor, Ihm wirklich zu helfen, noch hatte er das Recht, es von Ihnen zu verlangen. Wenn überhaupt, dann würden sie ihm eine Geschichte auftischen, von der sie hofften, dass sie seine Sensationslust befriedigte und Ihnen vielleicht noch ein weiteres Trinkgeld einbrachte. Und falls sie tatsächlich etwas wussten ... nun, dann tat er Ihnen ganz b e stimmt keinen Gefallen, wenn er sie in diese Geschichte hi n einzog.
    Trotzdem hob er die Schultern und antwortete: »Seltsame Tote eben. Man sagt, sie hätten keinerlei Verletzungen gehabt und auch an keiner Krankheit gelitten, und doch haben sie ei n fach tot auf der Straße gelegen. Und das immer in einer Ne u mondnacht.«
    »Das Phantom«, sagte Bess und sah ihn aus großen Augen an. »Du meinst das Phantom.«
    »Halt die Klappe, Bess«, sagte Frederic. Er warf Andrej e i nen spöttischen Blick zu. »Hör nicht auf sie. Sie redet Unsinn.«
    »Dieses Wort habe ich auch gehört«, beharrte Andrej. »Was soll das sein, das Phantom?«
    »Unsinn, wie ich schon gesagt habe«, antwortete Frederic in verändertem, jetzt fast ärgerlichem Ton. Er sah das Mädchen drohend an.
    »Wenn es nur Unsinn ist, warum reagiert ihr dann so e r schrocken?«, fragte Andrej. Etwas klapperte. Irgendwo, weit en t fernt, erscholl das schrille Jaulen einer Katze, und für einen Moment war es ihm, als würde es noch kälter.
    »Tue ich nicht«, behauptete Frederic. »Ich kann dir gern jede verrückte Geschichte erzählen, die du hören willst, wenn du was dafür springen lässt, aber die Wahrheit ist ganz einfach: Es ist Unsinn. Es gibt kein Phantom. Hier liegen andauernd tote Leute auf der Straße rum. An manchen Tagen kommen sie kaum damit nach, sie wegzuschaffen. Kein Hahn kräht danach. So ist das eben.«
    Wenn auch vermutlich hoffnungslos übertrieben, enthielt seine Behauptung aber einen wahren Kern. London war eine der größten Städte der Welt, wenn nicht überhaupt die größte - z u mindest, was die Einwohnerzahl anging -, und längst nicht alle ihre Einwohner lebten so glücklich, zufrieden und in b e scheidenem Wohlstand und gottesfürchtig, wie es so gerne e r zählt wurde. Vermutlich starben in dieser Stadt jedes Jahr mehr Menschen eines gewaltsamen Todes als in so mancher Schlacht, an der er teilgenommen hatte, und vermutlich scherte es die Obrigkeit tatsächlich nicht, wenn es arme Menschen w a ren, Arbeiter, Tagelöhner oder gar Diebe und Bettler. Aber er spürte auch Frederics Nervosität. Es gefiel dem Jungen nicht, über dieses Thema zu sprechen, und es gefiel ihm noch viel weniger, dass er es war, der über dieses Thema sprach. Und der Junge wusste etwas. Andrej dachte
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