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Glut und Asche

Glut und Asche

Titel: Glut und Asche
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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behaupteten von ihr, sie wäre der Nabel der Welt.
    Andrej tat beharrlich weiter so, als interessiere ihn nichts anderes als das Feuer Einer nach dem anderen ließen sich die Jungen und Mädchen rings um ihn nieder. Der Bursche mit der Ratte nahm genau auf der anderen Seite Platz, beobachtete ihn noch eine kurze Weile misstrauisch über die Flammen hinweg und führte dann die Bewegung, mit der er das Tier von seinem Stock hatte schieben wollen, zu Ende, als wäre in der Zw i schenzeit gar nichts geschehen. Schnell und geschickt zog er der Ratte das Fell ab, zerteilte das wenige graue, faserige Fleisch, das darunter zum Vorschein kam, mit seinem Messe r stumpf in elf gleich große Stücke und reichte sie herum. Als er Andrej eines davon anbot, schüttelte dieser fast entsetzt den Kopf.
    »Nein, danke«, sagte er rasch und mit einem angedeuteten, entschuldigenden Lächeln. »Ich bin nicht hungrig.«
    »Bist was Besseres gewohnt«, vermutete der Junge, schob sich das letzte Stückchen Fleisch zwischen die gelben Zähne und kaute genüsslich darauf herum. Der Anblick erweckte die Übelkeit in Andrejs Magen, die er schon beinahe vergessen hatte, wieder zu neuem Leben, und er musste abermals schl u cken. Dann aber nickte er.
    »Das stimmt«, sagte er. »Da, wo ich herkomme, werden Ratten höchst selten zum Essen serviert.«
    »Hier auch nicht«, antwortete der Bursche. »Die Biester sind schnell. Wir kriegen sie nur selten.«
    Andrej überlegte, ob er über diese Bemerkung lachen oder sie besser ignorieren sollte, und entschied sich dann für Letzt e res. »Wie ist dein Name, Junge?«, erkundigte er sich.
    »Frederic«, antwortete der Bursche.
    Andrej starrte ihn an. Er konnte spüren, wie sein Herz schneller zu schlagen begann und zwang die verrückten G e danken, die ihm plötzlich durch den Kopf schießen wollten, mit einiger Mühe nieder Es war ein Name, mehr nicht. Und noch nicht einmal ungewöhnlich, zumindest nicht in diesem Teil der Welt. Trotzdem starrte ihn der Junge stirnrunzelnd und erneut mis s trauisch an, und Andrej wurde klar, wie deutlich man ihm seinen Schrecken wohl angesehen hatte.
    »Hab ich was Falsches gesagt?«, fragte er.
    »Nein«, sagte Andrej hastig. »Es ist nur ...« Er entschied sich, so dicht wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben, an der ohn e hin nichts Verfängliches war »Entschuldige, Frederic«, sagte er »Es ist nur so, dass ich einmal einen Frederic gekannt habe. Aber das ist lange her« Er legte den Kopf schräg und versuchte das Gesicht unter all dem Schmutz und Ruß (und auch eing e trocknetem Blut, wie er voller Schrecken bemerkte) genauer zu erkennen. »Wenn ich genau hinsehe, dann siehst du ihm sogar ein bisschen ähnlich.«
    »Ach?«, erwiderte Frederic und schluckte das jämmerliche Stück Rattenfleisch lautstark herunter »Und wie ist dein Name? Oder geht uns das nichts an?«
    Andrej ignorierte den zweiten Teil seiner Frage. »Andrej«, antwortete er. »Andrej Dela ny .«
    »Das klingt nicht englisch«, sagte Frederic.
    »Ich komme auch nicht von hier«, antwortete Andrej. »Ich bin fremd in London. Genau genommen bin ich erst vor ein paar Tagen hier angekommen, und deshalb bin ich ja auch hier Ihr könnt mir doch bestimmt das eine oder andere über diese Stadt erzählen, oder?«
    »Wahrscheinlich mehr, als du hören willst«, antwortete Fr e deric in leicht verächtlichem Ton, sah ihn aber weiterhin a b schätzend an. Seine Hand spielte mit dem abgebrochenen Me s sen »Aber warum fragst du uns danach? So, wie du aussiehst, wohnst du doch bestimmt in einer Pension oder in einem vo r nehmen Hotel. Da kann man dir alles sagen, was du wissen willst.«
    »Oh ja«, bestätigte Andrej. »Man erfährt dort alles über den Tower, den Palast und den Hyde Park und hundert andere Di n ge, die mich nicht interessieren.«
    »Was interessiert dich denn?«, wollte Frederic wissen. A n drej fiel es immer noch schwer den Namen zu benutzen, wenn auch nur in Gedanken und für sich.
    »Die Menschen«, antwortete er.
    »Die Menschen«, wiederholte der Junge. »Aber doch b e stimmt nicht solche wie wir.«
    »Und wie kommst du darauf?«, fragte Andrej.
    Statt zu antworten, fragte Frederik seinerseits: »Bist du reich?«
    »Ja«, antwortete Andrej, und noch bevor er das Wort ganz ausgesprochen hatte, stieß Frederic ein erstauntes Keuchen aus und blickte auf seine plötzlich leeren Hände. Das Messer mit dem er herumgespielt hatte, hatte Andrej ihm mit einer so schnellen Bewegung abgenommen, dass
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