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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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ging, klang auch tatsächlich wie ein improvisierter Verzweiflungsakt – der Versuch, ihren blockierten Darmtrakt zu überbrücken, indem man eine tiefer gelegene, von Wucherungen gesäuberte Darmschlinge nahm und direkt an ihren Magen anschloss. Außerdem galt, was jeder der Spezialisten so formulierte: »Es würde sich nicht auf ihre Krankheit auswirken.« Gemeint war: Wozu eine riskante Operation vornehmen, um ihre Verdauung wiederherzustellen, wenn sie doch sterben würde?
    Margaret schaffte es, sie mürbezumachen. Für Enrique war es auf eine bittere Art amüsant zu beobachten, wie andere Männer, nicht nur er und seine Söhne, Margarets eisernen Willen zu spüren bekamen, vor allem aber mitzuerleben, wie diese Granden der Medizin, die es gewohnt waren, dass ihre rationalen Argumente von Patienten für unumstößlich genommen wurden, sich am Ende Margaret beugten, weil sie auf dem subjektiven Wert des Eingriffs beharrt hatte. »Und wenn ich nur noch ein einziges Mal mit meinem Mann zusammen essen kann, war es die OP wert«, erklärte sie ein paar Tage später in ihrem Krankenbett im Sloan dem Chefarzt der Onkologie, einem Blutkrebsspezialisten, der einen prominenten Freund von Enrique behandelt hatte. Er hatte seit zwei Jahren eine kleine Schwäche für Margaret, seit sie ihm kurz nach Behandlungsbeginn vorgestelltworden war. Ihre Art, sich zynisch über die Fähigkeiten ihrer verschiedenen Ärzte auszulassen und paradoxerweise gleichzeitig davon auszugehen, dass deren Maßnahmen erfolgreich sein würden, hatte ihm offenbar gefallen. Er war so einflussreich, dass er einen Chirurgen am Sloan Kettering so ziemlich zu allem bringen konnte. Er hörte sich Margarets beschwörende Argumentation an und musterte dann Enrique mit zusammengekniffenen Augen, als versuchte er zu verstehen, was an einem Essen mit diesem kahlköpfigen, ältlichen Schriftsteller verlockend genug war, um dafür eine wahrscheinlich nutzlose Bauchoperation auf sich zu nehmen.
    »Ich glaube nicht, dass sie unbedingt mit mir essen möchte«, erklärte Enrique. »Sie wäre froh, mit irgendjemandem essen zu können.«
    Margaret lachte, obwohl ihr Tränen übers Gesicht liefen, und sagte: »Das stimmt. Mir ist völlig egal, wen du zu diesem Essen einlädst, ich will einfach nur essen.«
    Der Chef der Onkologie erklärte, dass er und der Iraker ihr einen Chirurgen beschaffen würden, aber zuerst müsse sie zu ihrer aller Absicherung zu einem Beratungsgespräch in die psychiatrische Abteilung.
    Enrique hörte zu, wie sie einem nachdenklichen Psychiater, der eine Frisur wie Bozo der Clown hatte, aber braungrau meliert, ihre verzweifelte Logik darlegte. Der Psychiater nickte mitfühlend, als sie sagte: »Ich hatte ein Leben. Ich hatte einen Mann und Kinder und Freunde. Jetzt liege ich den ganzen Tag im Bett und kann nicht denken. Ich kann nicht mal einen Krimi lesen. Ich kann gar nichts weiter tun, als stupide Folgen von Law & Order gucken.«
    »Sonst läuft ja auch nichts im Fernsehen«, sagte der ernste Bozo. Und nach einer kurzen Pause, in der Margaret sich die Tränen von den Wangen wischte und die Nase schneuzte, setzte er hinzu: »Ich nehme an, die Leute mögen die Serie.«
    »Weil es um den Tod geht, aber ohne Emotionen«,murmelte Enrique. Margaret, die die kulturkritischen Bemerkungen ihres Mannes gewohnt war, ging nicht darauf ein, sondern wiederholte nur: »Es ist stupide. So ein stupides Leben. Das ist kein Leben. Ich will mein Leben wiederhaben«, rief sie schluchzend aus. »Es ist mir egal, ob ich dabei sterbe, es ist mir egal, wie lange es etwas nützt. Auch wenn es nur für einen Tag ist. Ich will mein Leben wiederhaben.«
    Der Psychiater verschrieb ihr Zoloft und bescheinigte, dass sie in der Lage sei, eine wohlerwogene Entscheidung zu fällen. Der Chef der Onkologie und der Iraker überredeten ihren rotwangigen Kollegen, die Operation vorzunehmen, wenn sie auch im Gegenzug darauf bestanden, dass Margaret der PEJ zustimmte – der Einführung eines Schlauchs durch die Bauchwand in ihren Dünndarm, damit sie anstelle der intravenösen PE direkt über den Darm ernährt werden könnte, falls der neue Darmanschluss an ihren Magen nicht funktionierte. Enrique fragte sich, ob Dick Wolf, der Produzent von Law & Order , wohl jemals erfahren würde, dass ein Team von medizinischen Koryphäen Margaret bestätigt hatte, seine Serie zu sehen, sei kein Leben.
    So waren sie Ende Mai wieder im Sloan gelandet. Die End-zu-End-Anastomose war
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