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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen
Autoren: Yasmina Reza
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Leute starren mich an. Ich packe den Einkaufswagen und schiebe ihn in den hinteren Teil des Supermarkts, ich kann sie nicht mehr sehen (sie hatte schon immer das Talent zu verschwinden, auch in angenehmen Situationen), ich rufe, Odile ! Ich komme zu den Getränken, niemand: – Odile ! Odile ! Ich merke sehr wohl, dass ich die Leute ringsum irritiere, aber das ist mir völlig egal, ich durchpflüge mit dem Einkaufswagen die Gänge, ich hasse diese Supermärkte, und plötzlich sehe ich sie, in der Käseschlange, die noch länger ist als vorhin, sie hat sich wieder in die Käseschlange gestellt ! Odile, sage ich, als ich sie erreicht habe, ich spreche wohldosiert, Odile, das dauert noch zwanzig Minuten, bis du drankommst, gehen wir hier weg und kaufen den Schweizer woanders. Keine Antwort. Was macht sie ? Sie wühlt im Einkaufswagen herum und fischt den Morbier wieder heraus. – Du willst jetzt nicht den Morbier zurückgeben ?, sage ich. – Doch. – Den schenken wir Maman, sage ich, um die Stimmung aufzuhellen. – Meine Mutter hat vor kurzem eine Schraube in einem Morbier gefunden. Odile lächelt nicht. Sie steht aufrecht und beleidigt in der Büßerschlange. Meine Mutter sagte zu ihrem Käsehändler, ich bin niemand, der immer Geschichten macht, aber Ihrem erstklassigen Ruf als Käsehändler zuliebe muss ich Ihnen mitteilen, dass ich in Ihrem Morbier einen Schraubenbolzen gefunden habe, dem Typ war das vollkommen wurscht, er hat ihr nicht mal die drei Rocamadours geschenkt, die sie an dem Tag kaufen wollte. Meine Mutter gibt damit an, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken bezahlt und mehr Format gezeigt hat als der Käsehändler. Ich trete zu Odile und sage leise, ich zähle bis drei, Odile. Ich zähle bis drei. – Hörst du mich ? Und warum nur denke ich in dem Moment, als ich das sage, an die Hutners, ein befreundetes Paar, das sich, koste es, was es wolle, im ehelichen Wohlergehen eingerichtet hat, sie nennen einander neuerdings »mein Herz« und sagen Sätze à la »Heute Abend essen wir was Schönes, mein Herz«. Ich weiß nicht, warum mir die Hutners einfallen, wo mich gerade ein ganz entgegengesetzter Zorn erfüllt, aber vielleicht besteht gar kein so großer Unterschied zwischen Heute Abend essen wir was Schönes, mein Herz und Ich zähle bis drei, Odile, in beiden Fällen liegt eine Art Wesensverengung vor, damit man die Zweisamkeit erträgt, eine natürlichere Harmonie kann es nicht geben als in dem Essen wir was Schönes, mein Herz, meine ich, nein, nein, und nicht weniger Abgründe, nur dass mein Ich zähle bis drei ein kleines Zucken in Odiles Gesicht hervorgerufen hat, ein Kräuseln der Lippen, einen winzigen Vorboten des Lachens, dem ich selbst auf gar keinen Fall nachgeben darf, logisch, solange ich nicht eindeutig grünes Licht dafür habe, auch wenn ich große Lust dazu verspüre, aber ich muss so tun, als hätte ich nichts gesehen, ich beschließe zu zählen, ich sage eins , ich flüstere es deutlich, die Frau gleich hinter Odile hat einen Logenplatz, Odile schiebt mit ihrer Schuhspitze etwas Verpackungsmüll weg, die Schlange wird länger und rückt kein bisschen vorwärts, ich muss jetzt zwei sagen, ich sage zwei , das Zwei ist offen, edel, die Frau dahinter drängt sich an uns, sie trägt einen Hut, eine Art umgestülpten Eimer aus weichem Filz, ich kann Frauen mit solchen Hüten nicht ausstehen, so ein Hut ist ein ganz schlechtes Zeichen, ich lege etwas in meinen Blick, das sie einen Meter zurückweichen lässt, aber es geschieht nichts, sie betrachtet mich neugierig, sie mustert mich abschätzig, riecht sie so übel ? Frauen, die sich in mehreren Lagen kleiden, verströmen oft einen bestimmten Geruch, oder liegt das jetzt an der Nähe zu den fermentierten Milchprodukten ? Das Handy in der Innentasche meiner Jacke vibriert. Mit zusammengekniffenen Augen versuche ich den Namen des Anrufers zu entziffern, weil ich keine Zeit habe, meine Brille herauszufischen. Es ist ein Mitarbeiter, der mir einen Tipp zu den Goldreserven der Deutschen Bundesbank geben kann. Ich sage ihm, dass ich gerade im Gespräch bin, und bitte ihn, mir eine Mail zu schicken, ich sage es, um die Sache abzukürzen. Vielleicht ist dieser kurze Anruf ja eine Chance: ich beuge mich vor und raune Odile ins Ohr, mit einer Stimme voller Verantwortungsbewusstsein, mein Chefredakteur will einen Infokasten über das Staatsgeheimnis der deutschen Reserven, und bislang habe ich null Infos darüber. – Und, wen
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