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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen
Autoren: Yasmina Reza
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interessiert’s ?, sagt sie. Mit heruntergezogenen Mundwinkeln verhärtet sie sich, damit ich die Belanglosigkeit des Themas ermessen kann und, was noch schwerer wiegt, die Belanglosigkeit meiner Arbeit, meiner Bemühungen im Allgemeinen, als könnte man nichts mehr von mir erwarten, nicht einmal ein Bewusstsein für meinen eigenen Mangel an Ehrgeiz. Frauen nutzen alles, um dich runterzumachen, sie rufen dir liebend gern in Erinnerung, was für eine Enttäuschung du bist. Odile ist gerade einen Platz in der Käseschlange vorgerückt. Sie hat ihre Handtasche an sich genommen und hält immer noch den Morbier fest. Mir ist heiß. Ich ersticke. Ich wäre gern weit weg, ich weiß weder, was wir hier tun, noch, worum es eigentlich geht. Ich würde gern im Osten Kanadas auf Schneeschuhen dahingleiten, wie Graham Boer, der Goldsucher und Held meines Artikels, in vereisten Tälern die Piste mit Pflöcken markieren oder mit der Axt Bäume einkerben. Hat er Frau und Kinder, dieser Boer ? Ein Typ, der Grizzlys und Temperaturen von minus dreißig trotzt, wird sich kaum in einem Supermarkt den letzten Nerv rauben lassen, während alle Welt ihre Einkäufe macht. Ist das der richtige Ort für einen Mann ? Wer kann schon in diesen Neongängen voll unzähliger Großpackungen herum­irren, ohne in Mutlosigkeit zu verfallen ? Und zu wissen, dass man dorthin zurückkehren wird, zu allen Jahreszeiten, ob man es will oder nicht, denselben Wagen im Schlepptau, unter dem Kommando einer immer unnachgiebigeren Frau. Vor nicht allzu langer Zeit sagte mein Schwiegervater, Ernest Blot, zu unserem neunjährigen Jungen, ich kauf dir einen neuen Stift, mit dem da machst du dir die Finger fleckig. Antoine antwortete ihm, nicht nötig, ich brauche keinen Stift mehr, um glücklich zu sein. Das ist das Geheimnis, sagte Ernest, und dieses Kind hat es verstanden, den Anspruch auf Glück auf das Minimum zu reduzieren. Mein Schwiegervater ist der Weltmeister solcher überzogener Lebensweisheiten, die seinem Temperament völlig widersprechen. Ernest hat noch nie die geringste Verringerung seines Le­bens­­potentials gestattet (vergessen wir das Wort Glück). Als er nach seiner Bypass-Operation zum Rhythmus des Rekonvaleszenten gezwungen war und das Leben in bescheidenem Rahmen wieder lernen musste, ebenso wie die häusliche Zwangsarbeit, der er stets ausgewichen war, hatte er sich von Gott höchstpersönlich ins Visier genommen und mattgesetzt gefühlt. – Odile, wenn ich drei sage, wenn ich die Zahl Drei ausspreche, dann bin ich weg, dann nehme ich das Auto und lass dich mit dem Einkaufswagen sitzen. – Das würde mich wundern, sagt sie. – Das würde dich wundern, aber genau das tue ich, in zwei Sekunden. – Du kannst nicht mit dem Auto weg, Robert, ich habe die Schlüssel in der Handtasche. Ich suche umso dämlicher in meinen Taschen herum, als ich mich erinnere, dass ich mich selber der Schlüssel entledigt habe. – Gib sie bitte her. Odile lächelt. Sie keilt die Schultertasche zwischen ihren Körper und die Käsevitrine. Ich trete näher, um an der Handtasche zu ziehen. Ich ziehe. Odile leistet Widerstand. Ich ziehe am Riemen. Sie krallt sich daran fest und hält dagegen. Es macht ihr Spaß ! Ich packe die Handtasche am Boden, in einem anderen Kontext hätte ich keinerlei Mühe, ihr die Tasche zu entreißen. Sie lacht. Sie klammert sich fest. Sie sagt, sagst du nicht drei ? Warum sagst du nicht drei  ? Sie nervt mich. Und dass diese Schlüssel in der Handtasche sind, nervt mich auch. Aber ich mag es, wenn Odile so ist. Und ich sehe sie gern lachen. Ich bin haarscharf davor, mich zu entspannen und dem neckischen Spiel zu verfallen, als ich ganz in der Nähe ein Glucksen vernehme, und ich sehe die Frau mit Filzhut, wie sie, ganz trunken vor weiblichem Einverständnis, mir offen ins Gesicht lacht, völlig schamlos. Mir bleibt keine Wahl. Ich werde brutal. Ich presse Odile gegen das Plexiglas und versuche, mir einen Weg in die Handtasche zu bahnen, sie wehrt sich, beschwert sich, ich täte ihr weh, ich sage, gib jetzt diese Schlüssel her, verdammte Scheiße, sie sagt, du spinnst ja, ich entreiße ihr den Morbier und schmeiße ihn in den Gang, schließlich ertaste ich die Schlüssel in dem Handtaschenchaos, angle sie heraus, schüttele sie vor ihren Augen und lasse Odile dabei nicht los, ich sage, wir hauen hier sofort ab. Die Frau mit dem Hut schaut jetzt entsetzt drein, ich sage zu ihr, du lachst ja gar nicht mehr, was ist ? Ich
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