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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen
Autoren: Yasmina Reza
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aus. Das erste Wort aus seinem Munde seit dem Treppenabsatz bei Rémi Grobe. Ich sage nichts. Nach wenigen Sekunden richtet er sich auf und legt sich halb auf mich drauf, um meine Nachttischlampe auszuschalten. Er schafft es. Im Dunkeln gebe ich ihm einen Klaps auf den Arm, auf den Rücken, mehrere Klapse, und schalte das Licht wieder ein. Robert sagt, seit drei Nächten kann ich nicht schlafen, soll ich krepieren ? Ich hebe den Blick nicht von meinem Buch und sage, nimm doch eine Rohypnol. – Ich nehm diese Scheiße nicht. – Dann jammer nicht rum. – Ich bin müde, Odile ... Mach das Licht aus. Mach’s aus, verdammt. Er rollt sich unter der Decke zusammen. Ich versuche zu lesen. Ich frage mich, ob das Wort müde aus Roberts Mund nicht mehr als alles andere zu unserer Entfremdung beigetragen hat. Ich weigere mich, ihm eine existentielle Bedeutung beizumessen. Von einem Helden der Literatur nimmt man es hin, dass er sich in das Reich der Schatten zurückzieht, aber nicht von einem Ehemann, mit dem man das häusliche Leben teilt. Robert schaltet seine Lampe wieder ein, wurschtelt sich unverhältnismäßig heftig aus der Decke und setzt sich auf den Bettrand. Ohne sich umzudrehen sagt er, ich geh ins Hotel. Ich schweige. Er rührt sich nicht. Ich lese zum siebten Mal »Im Tageslicht, das noch durch die verwitterten Fensterläden drang, erblickte Gaylor den Hund unter dem zerlöcherten Stuhl, die abgestoßene Emaille des Waschbeckens. Von der gegenüberliegenden Wand schaute ihn ein Mann traurig an. Gaylor näherte sich dem Spiegel ...« Wer ist dieser Gaylor noch mal ? Robert sitzt vornübergebeugt da, mit dem Rücken zu mir. In dieser Haltung tönt er, was hab ich getan, hab ich zuviel geredet ? Bin ich aggressiv ? Trinke ich zuviel ? Hab ich ein Doppelkinn ? Na los, spul deine Litanei ab. Was war’s heute Abend ? – Zu viel reden tust du auf jeden Fall, sag ich. – Es war dermaßen nervig. Und widerlich. – Nicht sehr gut, stimmt schon. – Widerlich. Was treibt der eigentlich im Leben, dieser Rémi Grobe ? – Er ist Berater. – Berater ! Welches Genie hat dieses Wort erfunden ? Ich weiß nicht, warum wir uns diese absurden Abendessen antun. – Kein Mensch zwingt dich mitzukommen. – Aber sicher. – Aber nein. – Natürlich. Und diese Plunze in Rot, die noch nicht mal weiß, dass die Japaner keine Atombombe haben ! – Was macht das schon ? Wer muss so was wissen ? – Wenn man die Stärke der japanischen Verteidigungskräfte nicht kennt, und wer kennt die schon ?, dann sollte man sich auch nicht in ein Gespräch über die territorialen Ansprüche im Chinesischen Meer einmischen. Mir ist kalt. Ich versuche, an der Decke zu ziehen. Robert hat sie unabsichtlich eingeklemmt, als er sich auf den Bettrand setzte. Ich ziehe, er lässt mich ziehen, ohne sich auch nur einen Zentimeter zu erheben. Ich ziehe, ächze leise. Ein stummer, vollkommen idiotischer Kampf. Schließlich steht er auf und geht aus dem Schlafzimmer. Ich blättere eine Seite zurück, um zu rekonstruieren, wer Gaylor ist. Robert taucht ziemlich schnell wieder auf, er hat die Hose wieder angezogen. Er sucht seine Socken, findet sie, zieht sie an. Er geht wieder. Ich höre ihn im Flur herumstöbern und einen Schrank öffnen. Dann geht er offenbar wieder ins Bad. Auf der vorigen Seite führt Gaylor hinten in einer Garage ein Streitgespräch mit einem Mann namens Pal. Wer ist dieser Pal ? Ich stehe auf. Ich schlüpfe in die Pantoffeln und gehe zu Robert ins Bad. Er hat ein Hemd angezogen, ohne es zuzuknöpfen, und sitzt auf dem Wannenrand. Ich frage, wo willst du hin ? Er macht eine verzweifelte Geste, im Sinne von keine Ahnung, egal wohin. Ich sage, soll ich dir ein Bett im Wohnzimmer machen ? – Kümmer dich nicht um mich, Odile, geh schlafen. – Robert, ich habe diese Woche vier Verhandlungen. – Lass mich bitte in Ruhe. Ich sage, komm zurück, ich mach das Licht aus. Ich sehe mich im Spiegel, Robert hat das falsche Licht angemacht. Niemals mache ich im Bad das Deckenlicht an, höchstens kombiniert mit den Spots am Waschbecken. Ich sage, ich bin hässlich. Sie hat mir die Haare zu kurz geschnitten. – Viel zu kurz, sagt Robert. So ist sein Humor. Halb neckend, halb beunruhigend. Das bringt mich zum Lachen, selbst in den schlimmsten Momenten. Und es beunruhigt mich auch. – Meinst du das im Ernst ?, frage ich. Robert sagt, auf welchem Gebiet ist dieser Affe eigentlich Berater ? – Von wem sprichst
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