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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen
Autoren: Yasmina Reza
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zerre Odile und den Einkaufswagen, ich manövriere sie an den Verkaufsständen vorbei und zu den Kassen am Ausgang, ich halte ihr Handgelenk fest gepackt, obwohl sie sich gar nicht mehr wehrt, eine Unterwürfigkeit, die nichts Unschuldiges an sich hat, mir wäre lieber, ich müsste sie rauszerren, am Ende muss ich es immer teuer bezahlen, wenn sie ihr Märtyrerkostüm anlegt. An den Kassen ist natürlich auch eine Schlange. Wir stellen uns in diese tödliche Reihe, ohne ein Wort. Ich habe Odiles Arm losgelassen, sie tut jetzt so, als wäre sie eine normale Kundin, ich sehe sogar, wie sie die Dinge im Einkaufswagen sortiert und ein bisschen aufräumt, um das Einpacken zu erleichtern. Auf dem Parkplatz fällt kein Wort. Im Wagen ebenso wenig. Es ist dunkel. Die Straßenlichter schläfern uns ein, und ich lege die CD mit den portugiesischen Liedern auf, mit der Frauenstimme, die dasselbe Wort wiederholt bis ins Unendliche.

Marguerite Blot
    In den fernen Tagen meiner Ehe gab es in dem Hotel, wo wir im Sommer mit der Familie hinfuhren, eine Frau, die jedes Jahr wiederkam. Heiter, elegant, sportlich geschnittene graue Haare. Sie war überall, ging von einer Gruppe zur anderen und aß jeden Abend an einem anderen Tisch. Oft sah man sie am Spätnachmittag mit einem Buch. Sie setzte sich immer in eine Ecke des Salons, damit sie im Auge behielt, wer kam und ging. Bei jedem bekannten Gesicht strahlte sie und winkte mit ihrem Buch wie mit einem Taschentuch. Eines Tages kam sie mit einer großen brünetten Frau im duftigen Plisseerock. Sie waren unzertrennlich. Sie speisten vorm See, spielten Tennis, spielten Karten. Ich fragte nach, wer diese Frau sei, und bekam zu hören, ihre Gesellschafterin. Ich akzeptierte dieses Wort, so wie man ein normales Wort ohne besondere Bedeutung eben akzeptiert. Jedes Jahr tauchten sie zur selben Zeit dort auf, und ich sagte mir, ah, da ist Madame Compain mit ihrer Gesellschafterin. Dann gab es einen Hund, den eine von beiden an der Leine führte, aber er gehörte offenkundig Madame Compain. Jeden Morgen sah man sie zu dritt losgehen, der Hund zerrte sie voran, sie versuchten ihn zu halten, indem sie seinen Namen in allen Tonlagen riefen, aber vergebens. Diesen Winter im Februar, also viele Jahre danach, bin ich mit meinem erwachsenen Sohn in die Berge gefahren. Er läuft natürlich Ski mit seinen Freunden, ich wandere. Ich liebe das Wandern, ich liebe den Wald und die Stille. Im Hotel hatte man mir einige Wanderwege empfohlen, aber ich wagte mich nicht an sie heran, weil sie zu weit wegführten. In den Bergen und im Schnee sollte man nicht allein und nicht allzu weit weg sein. Lachend dachte ich, ich sollte eine Annonce bei der Rezeption aufhängen, alleinstehende Frau sucht angenehme Begleitung zum Wandern. Und da fiel mir gleich Madame Compain mit ihrer Gesellschafterin ein, und mir wurde klar, was Gesellschafterin eigentlich heißen sollte. Diese Erkenntnis jagte mir einen Schrecken ein, weil Madame Compain auf mich immer den Eindruck einer etwas verlorenen Frau gemacht hatte. Auch wenn sie mit den Leuten lachte. Wenn ich es recht bedenke, vielleicht sogar gerade, wenn sie lachte und sich für den Abend schön angezogen hatte. Ich wandte mich an meinen Vater, mit anderen Worten, ich hob die Augen gen Himmel und murmelte, Papa, dass ich bloß keine Madame Compain werde ! Es war lange her, dass ich mich an meinen Vater gewandt hatte. Seit er gestorben ist, bitte ich ihn manchmal, in mein Leben einzugreifen. Ich blicke gen Himmel und spreche mit heimlicher, dringlicher Stimme zu ihm. Er ist der einzige, an den ich mich wenden kann, wenn ich mich ohnmächtig fühle. Außer ihm kenne ich niemanden im Jenseits, der von dort aus auf mich achtgeben würde. Ich komme nie auf den Gedanken, mit Gott zu sprechen. Ich war immer der Ansicht, dass man Gott nicht stören darf. Man kann nicht direkt zu ihm sprechen. Er hat keine Zeit, sich mit Einzelfällen zu beschäftigen. Oder wenn, dann mit außergewöhnlich ernsten Fällen. Im Konzert der Fürbitten sind meine im Grunde lächerlich. Ich empfinde dasselbe wie meine Freundin Pauline, als sie eine Halskette wiederfand, die sie von ihrer Mutter geerbt und im hohen Gras verloren hatte. Bei der anschließenden Fahrt durch ein Dorf hielt ihr Mann vor einer Kirche an und wollte hineinstürmen. Die Tür war verschlossen, und er rüttelte panisch am Riegel. – Was machst du denn da ? – Ich will Gott danken, antwortete er. – Gott ist das egal ! – Ich
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