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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen
Autoren: Yasmina Reza
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ausgezogen. Wie oft im Leben noch dieses irre, bedrohliche An- und Ausziehen ? Ich sage, findest du es normal, dass er mit neun noch ein Kuscheltier hat ? – Aber ja. Ich hatte mit achtzehn noch eins. Mir ist zum Lachen zumute, aber ich lasse mir nichts anmerken. Robert zieht Socken und Hemd aus. Er knipst seine Nachttischlampe aus und schlüpft unter die Decke. Ich glaube, mir ist eingefallen, wer Gaylor ist. Gaylor ist der Typ, der engagiert wurde, um die Tochter von Joss Kroll zu finden, und ich frage mich, ob dieser Raoul Toni nicht zu Beginn an der Tombola teilgenommen hat ... Mir fallen die Augen zu. Dieser Krimi ist öde. Ich setze die Brille ab, schalte das Licht aus. Ich taste mich zum Nachttisch. Mir fällt auf, dass ich den Vorhang nicht weit genug zugezogen habe, er wird das Tageslicht zu früh hereinlassen. Egal. Ich sage, warum wacht Antoine mitten in der Nacht auf ? Robert antwortet, weil er Doudine nicht mehr gespürt hat. Wir liegen beide einen Moment lang da, jeder auf seiner Seite des Bettes, und betrachten die gegenüberliegenden Wände. Dann drehe ich mich noch einmal um und schmiege mich an ihn. Robert legt mir eine Hand ins Kreuz und sagt, dich müsste man auch anbinden.

Vincent Zawada
    Beim Warten auf ihre Bestrahlung in der Clinique Tollere Leman schaut sich meine Mutter alle Patienten im Wartezimmer einen nach dem anderen an und sagt mit kaum gesenkter Stimme, Perücke, Perücke, nicht sicher, keine Perücke, keine Perücke ... – Maman, Maman, nicht so laut, sage ich, alle hören dich. – Was sagst du ? Du nuschelst dir was in den Bart, und ich verstehe nichts, sagt meine Mutter. – Hast du deine Ohren drin ? – Was ? – Hast du dein Hörgerät drin ? Warum setzt du es nicht ein ? – Weil ich es während der Bestrahlung rausnehmen muss. – Tu’s rein, solange du wartest, Maman. – Es bringt nichts, sagt meine Mutter. Neben ihr sitzt ein Mann, der mir voller Mitgefühl zulächelt. Er hält eine Glencheck-Mütze in der Hand, und seine blasse Gesichtsfarbe harmoniert mit dem angejahrten, englisch aussehenden Anzug. – Außerdem, sagt meine Mutter, in ihrer Handtasche herumwühlend, hab ich es gar nicht dabei. Sie fährt mit ihren Beobachtungen fort und bemerkt, kaum leiser, die da macht es keinen Monat mehr, ich bin nicht die Älteste hier, immerhin, das beruhigt mich ... – Maman, bitte, sage ich, schau mal, im Figaro ist ein kleines Quiz, das ist ganz lustig. – Na gut, wenn es dir Freude macht. – Welches bis dato in Frankreich unbekannte Gemüse führte Katharina von Medici an ihrem Hof ein ? Artischocke, Brokkoli, Tomate ? – Artischocke, sagt meine Mutter. – Artischocke, bravo. – Was war Greta Garbos erster Job, als sie vierzehn war ? Friseurlehrling, Lichtdouble für Shirley Temple in Die Glücks­­­puppe , Abschupperin von Heringen auf dem Fisch­markt ihrer Heimatstadt Stockholm ? – Abschupperin von Heringen in Stockholm, sagt meine Mutter. – Friseurlehrling. – Ach was, sieh an, sagt meine Mutter, aber ich bin ja auch blöd, seit wann haben Heringe Schuppen ! – Seit langem, Madame, wenn Sie gestatten, mischt der Mann sich ein, der neben ihr sitzt und mir auch wegen seiner grauen, rosa gepunkteten Krawatte auffällt, Heringe haben seit jeher Schuppen. – Ach ja ?, sagt meine Mutter, nein, nein, Heringe haben keine Schuppen, wie Sardinen. – Auch Sardinen haben seit jeher Schuppen, sagt der Mann. – Sardinen sollen Schuppen haben, das ist das erste, was ich höre, sagt meine Mutter, wusstest du das, Vincent ? – Genau wie Sardellen und Sprotten, fügt der Mann hinzu, jedenfalls schließe ich daraus, dass Sie nicht koscher essen ! Er lacht und schließt mich in seinen Versuch der Vertraulichkeit ein. Trotz seiner gelblichen Zähne und seiner schütteren, grau werdenden Haare ist er durchaus eine Erscheinung. Ich nicke freundlich. – Na, zum Glück, antwortet meine Mutter, zum Glück esse ich nicht koscher, ich hab schon so kaum noch Appetit. – Wer ist Ihr Arzt ?, erkundigt sich der Mann und löst den Knoten seiner Krawatte ein wenig, sein Körper hat sich auf das Gespräch eingestellt. – Doktor Chemla, sagt meine Mutter. – Philip Chemla, der Beste, einen Besseren gibt’s nicht, seit sechs Jahren hält er mich in Schuss, sagt der Mann. – Mich seit acht, sagt meine Mutter, stolz, dass sie länger in Schuss gehalten worden ist. – Auch Lunge ?, fragt der Mann. – Leber, antwortet meine Mutter, erst Brust, dann
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