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In stillen Nächten

In stillen Nächten

Titel: In stillen Nächten
Autoren: Till Lindemann
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Vorwort
von Alexander Gorkow
    Ein sehr früher Lindemann, aus dem Jahr 1972, heißt »Der Nußknacker«. Till war damals neun Jahre alt. Das Gedicht geht so:
    Er knackt ganz einfach
Jede Nuß
Und die nicht will
Muß
    Tills Vater, der verstorbene Kinderbuchautor Werner Lindemann, hat das Gedicht des kleinen Till vor etlichen Jahren in einem autobiographischen Roman verraten. Der ganze Till Lindemann war also als Kind in seinen lyrischen Grundfesten schon angelegt: Leidenschaft, Gnadenlosigkeit, Beharrlichkeit, Zermalmung, Fatalismus.
     
    Es ist einige Jahre her, dass ich Till fragte, ob er – unabhängig von seiner Textarbeit für Rammstein – immer noch Gedichte schreibt. So eindrucksvoll mir die Nussknackersuite des Neunjährigen dabei vorkam, eher und vor allem war mir sein Lyrikbuch »Messer« von 2005 in Erinnerung, in dem ich damals Schätze suchte und fand, das mir insgesamt aber als noch nicht vollständige Abnabelung vom Da- und Sosein eines vergötterten Frontmanns und Pyrotechnikers erschien. Ich habe Rammstein dabei eigentlich nie nur für eine Rockband, sondern immer für ein lyrisches Gesamtkunstwerk gehalten: Tills Sprache – dazu diese interessante Druckbetankung mit Feuer, Freude, Wut und Musik. Selbst die Musik folgt hier ja oft lyrischen, durchgedrehten Mustern. Wenn man Rammstein in Paris oder Houston erlebt hat, wenn man erlebt hat, wie viele Tausend Menschen mit dem Finger auf Till zeigen und auf Deutsch »Du hasst mich« brüllen, so stellt sich ja sogar die Frage nach einer sonderbar universalen Sprache. Welcher deutsche Sprachkünstler erfindet in unseren Jahren eine Lyrik, die die Leute in München oder Berlin ebenso verstehen wie in Russland, Mexiko, Frankreich oder den USA ?
     
    Bevor wir uns dann in Berlin trafen, lag ein Aktenordner mit Tills Gedichten auf meinem Hotelbett. Den hatte er da deponieren lassen. Ich las. Und las. Und las. Wir sprachen dann erst einmal kein Wort über diese Texte. Sondern über die Natur, in der er aufgewachsen ist und in deren Ruhe er flüchtet, sooft es geht. Er findet für die Ruhe in den Wäldern und an den Seen in diesen Gesprächen eine Sprache, die man sofort notieren möchte, von deren Schönheit man sich was abschneiden will …
     
    So ging es los. Dann kamen mehr Gedichte. Wie die Gezeiten. Ebbe und Flut. Laut und leise. Zart und hart.
     
    Die hier versammelten Gedichte klingen wie in kalten Nächten aus dem Eis gekratzt. Es sind echte Monster dabei, komische Gemetzel, ganz schlimme Sachen, einige Massaker – und dann auch und immer wieder zärtliche Miniaturen. Zärtlich? Darf man das Wort noch verwenden nach »Zärtliche Cousinen, Teil III «? Tills Lyrik ist aber in den grellen wie in den leisen Momenten, in den tumultuösen, nur scheinbar ungelenken wie dann plötzlich gleichmäßigen Zeilen eine Lyrik in stets klarer, dabei pingelig um Unerheblichkeit bemühter Sprache:
    In stillen Nächten weint ein Mann
weil er sich erinnern kann
    Ich habe diese und andere Zeilen Tills an einem langen Abend mal dem Schauspieler Matthias Brandt vorgelesen. Am nächsten Tag schrieb mir Matthias eine Mail: »Das Interessante an diesen Gedichten ist ja, dass vermutlich kaum wer darauf kommen würde, dass das von Till Lindemann ist. Dabei ist so vieles an Stille und Tiefe und Komik aus dieser Lyrik ja auch in den Rammsteintexten. Diese Gedichte sind sagenhaft. Für einen Schauspieler sind sie sozusagen das Paradies. Sie klingen, als hätte jemand Rammsteinlieder gepflückt und in die Blumenpresse gelegt. Das reine Lindemann-Herbarium!«
     
    Wir sehen den Menschen in Tills Gedichten nackt; im Begehren, in Einsamkeit, in Spott und Hass. Am Ende, so dachte ich Mal um Mal mehr beim Lesen und Sortieren, ist das alles hier aber vor allem: eine einzige, Wunden schlagende Selbstbehauptung. Und so steckt hinter diesem Mantra des Neins, nehmt alles nur in allem, ein großes, beharrendes Ja.
     
    Wir ahnen dabei Tills Helden, also jene Dichter, mit deren Texten er daheim aufgewachsen ist, Bertolt Brecht, Conrad Ferdinand Meyer, den Sezierer Gottfried Benn. Und wir ahnen in diesen Geschichten (denn nichts anderes als mitunter nahezu epische Geschichten sind diese oft nur kleinen Gedichte) einen seiner gegenwärtigen Helden – den Erzähler zeitgenössischer Lebenskatastrophen, den Schweizer Journalisten Erwin Koch, dessen »Wahre Geschichten« unter dem Titel »Was das Leben mit der Liebe macht« zu Tills Lieblingsbüchern gehört.
     
    Dass wir gemeinsam die
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