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Glauben Sie noch an die Liebe

Glauben Sie noch an die Liebe

Titel: Glauben Sie noch an die Liebe
Autoren: Jan Philipp Burgard , Justus Bender
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Beziehungen mit den Jahren eine gewisse Langeweile eintritt, ob man will oder nicht. Auch Ihre Frau wird andere Männer attraktiv finden.
    Wir glauben Ihrer Erfahrung. Umso unerhörter ist ein solches Verhalten. Das kann doch nur bedeuten, dass die Frau mich nicht mehr liebt?
    Das muss es nicht heißen.
    Warum nicht? Ist es naiv, zu denken, dass man jemanden, den man liebt, nicht betrügt?
    Schauen Sie, die Triebe sind von Geburt an da, die Moral aber wird den Menschen erst langsam anerzogen. In manchen Teilen der islamischen Welt können Sie fünf Frauen gleichzeitig treu sein. Das ist in keiner Weise unmoralisch. Aber wenn eine dieser Frauen etwas mit einem anderen Mann hat, dann gnade ihr Gott.
    Gibt es überhaupt Menschen, die treu sind, das heißt, auch in ihren Gedanken?
    Wenn man heiratet, tritt immer eine gewisse Gewöhnung ein, egal, wie stark man sich vorher geliebt hat. Auch Sie werden im Laufe einer langen, glücklichen und treuen Ehe gelegentlich sagen: »Hm, diese Dame da ist wirklich sehr sexy.« Sie werden Lust auf Untreue haben, aber Sie werden sagen: »Nein, ich will meine Frau nicht verletzen.« So ist es bei vielen.
    Das klingt schizophren. Man liebt jemanden sehr, sagt aber: »Ich kann nicht treu sein.«
    Schizophren ist es nicht. Ich würde sagen, es ist mit einer Neurose verbunden. (Lacht.)
    Mit Verlaub, das zerstört vollkommen das Ideal der reinen, aufrichtigen Liebe. Stattdessen klingt die Liebe bei Ihnen kompliziert und gebrochen, wie eine Krankheit.
    Eine Krankheit? Nun, es gibt Liebeskranke, aber das ist heute eine große Seltenheit. Wenn Sie welche finden, dann steckt dahinter immer eine große Sehnsucht nach der gemeinsamen Zeit mit der Mutter – als Säugling.
    Sie sind jetzt vierundneunzig Jahre alt. Erzählen Sie uns davon, wie es ist, wenn die Liebe mit den Jahren aufhört?
    Nein, die Liebe hört nicht auf. Aber die Verliebtheit, dieser Rausch der ersten Zeit, der hört auf.
    Und was kommt dann? Die Langeweile?
    So in etwa. Ich habe gerade wieder in einem Heft geblättert, in dem ich mir früher Notizen über die Entwicklung meiner Patienten gemacht habe. Damals kam ein wohlhabender Oberarzt aus Ungarn zu mir und sagte: »Die Abende sind immer so langweilig. Also gehe ich entweder trinken oder ins Bordell. Und jetzt kann ich keine Frau mehr finden, die mir glaubt, dass ich treu sein kann.«
    Und gibt es auch eine optimistischere Anekdote, die weniger entmutigend ist?
    Sie wissen nie, was Ihnen in Ihrem Leben passiert. Sie könnten Krebs kriegen oder Kinder bekommen, die von Geburt an krank sind.
    Und das ist dann gut?
    Natürlich nicht. Aber es schweißt ein Paar zusammen, wenn es schwere Zeiten als Partner gemeinsam meistert. In der Not lernt man sich ganz anders kennen. Was ich sagen will: Sie können sicher einiges dafür tun, dass Ihre Partnerschaft stabil ist, aber nicht alles liegt in Ihren Händen. Viele Dinge passieren einfach.
    Warum lohnt es sich, treu zu sein?
    Ich würde immer dazu raten, treu zu sein, aber damit würde ich eine Regel brechen. Es ist mir verboten, Ratschläge zu geben. Als Psychoanalytikerin rate ich nicht. Ich muss verstehen, warum jemand untreu sein will, was ihm in der Beziehung fehlt. Das gegenseitige Verstehen ist am wichtigsten. Viele Beziehungen gehen auseinander, nicht, weil jemand untreu war, sondern weil sich beide fremd geworden sind.
    Was hilft dagegen?
    Die Sexualität ist oft eine große Hilfe, wieder Nähe zu erleben. Überhaupt sollte man die Sexualität nicht unterschätzen. Freud hat einmal gesagt: »Man hat die Sexualität so lange verteufelt, bis der letzte Rest von Göttlichkeit der Verachtung anheimfiel.« Manchmal aber ist die Entfremdung auch für die Sexualität schon zu groß. Viele Männer werden impotent in Beziehungen. Statt untreu zu werden, wollen sie einfach gar nicht mehr.
    Kann man sich bewusst dafür entscheiden, treu zu sein?
    Natürlich. Trotzdem werden auch Menschen, die eine gute Ehe führen und ihren Partner lieben, Fremden begegnen und sich gegen ihren Willen zu diesem Menschen körperlich stark hingezogen fühlen.
    Dann ist Treue generell eine Lüge?
    Nein, es ist eine Entscheidung.
    Haben Sie den Eindruck, dass die Menschen heute öfter als vor, sagen wir, siebzig Jahren ihre Partner auswechseln, um immer wieder dieses Kribbeln im Bauch zu empfinden?
    Das muss ich Ihnen gar nicht beantworten. Dazu müssen Sie sich nur die Scheidungsrate anschauen.
    Die liegt in Deutschland derzeit bei neununddreißig
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