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Glauben Sie noch an die Liebe

Glauben Sie noch an die Liebe

Titel: Glauben Sie noch an die Liebe
Autoren: Jan Philipp Burgard , Justus Bender
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Angst, das Psychologische, nein, dieses Verlustgefühl hat man nicht, man möchte sie weiter lieben, man möchte sie weiter ansehen, man möchte, dass sie einen ansieht als ihren Mann. Das ist ja ein ganz bestimmter Blick, den Frauen dann haben. Aber dann kommen die Leute und sagen: »Du bist ein Rausch-Junkie!« Was ist falsch daran? Was ist falsch daran?

MARGARETE MITSCHERLICH
    »Ich würde immer dazu raten, treu zu sein«
    Es muss einem Menschen einen seltsamen Blickwinkel auf die Liebe verschaffen, wenn er als Psychoanalytiker arbeitet. Unentwegt kreisen die Gespräche um jene dunklen Kehrseiten des Eros, die der gewöhnliche, gemäßigt lebende Bürger nur selten erlebt. Da ist der Bäckermeister aus Ingolstadt, der aus blanker Eifersucht seine Frau bei ihrem Kaffeekränzchen mit Freundinnen von einem Privatdetektiv beschatten lässt. Da ist die seit dem Proseminar über die Geschichte des Altertums unglücklich in ihren Professor verliebte Studentin aus Berlin, deren Liebesleben von der Sehnsucht nach ihrem vor zwölf Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Vater beherrscht wird. Da ist der Unternehmer aus Kirchhörde, der sich nach dreißig Jahren Ehe scheiden lässt und nachts an seinem Computer verschiedene Versionen eines Abschiedsbriefs an die gemeinsamen Kinder schreibt.
    Die Couch des Analytikers ist ein Ort, an dem sich die Unglücklichen treffen, jene Menschen, deren Liebesrausch sich in etwas Dunkles, vielleicht sogar Zerstörerisches verwandelt hat. Der Psychoanalytiker sitzt neben dieser Couch, er lauscht solchen Erzählungen von Leid, Eifersucht und Neurosen, er nickt, bietet Tee und Kekse an, fragt nach, und nach einigen Monaten, Jahren vielleicht, muss ihn berühren, was diese Menschen berichten. »Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein«, schreibt Friedrich Nietzsche in »Jenseits von Gut und Böse«.
    Also klingeln wir an dieser Tür aus geriffeltem Glas, irgendwo im noblen Frankfurter Westend, wo die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich wohnt, und die dünn gewordene Stimme einer mittlerweile vierundneunzig Jahre alten Frau bittet uns über die Gegensprechanlage in den fünften Stock. Frau Mitscherlich öffnet die Tür, auf einen Rollator gestützt. Jahrzehntelang war sie in der Wahrnehmung vieler, gemeinsam mit ihrem vor einiger Zeit verstorbenen Mann Alexander Mitscherlich, die Stimme der Psychoanalyse in Deutschland. »Mir haben in meinem Leben tausende Patienten ihre Liebesgeschichten erzählt. Die Menschen sind verlogen, jeden Tag, besonders zu ihren Partnern. Aber zu ihrem Analytiker sind sie ehrlich, weil sie dort nichts zu verlieren haben«, sagt sie.
    An einem Wohnzimmertisch mit weißen Spitzendeckchen, bei Keksen und Mineralwasser, beginnt unser Gespräch über die Liebe. Vielleicht wäre unsere erste Frage eine andere gewesen, wenn wir geahnt hätten, dass Margarete Mitscherlich nur wenige Monate nach unserem Treffen, am 12. Juni 2012, sterben würde.
    Frau Mitscherlich, wenn wir als Patienten zu Ihnen kommen würden …
    … dann würde ich Sie auf eine Couch legen und Sie einzeln befragen, denn dann würde es schnell sehr intim.
    Sollen wir uns auf diese Liege neben Ihrem Wohnzimmertisch legen? Die sieht sehr freudianisch aus.
    Ach, lassen Sie uns lieber am Tisch bleiben, da kann ich besser sitzen in meinem Alter. Das ist übrigens eine Bauhaus-Liege. Freud hatte eine Couch, die viel tiefer war.
    Und was würden Sie uns als Patienten Intimes fragen?
    Nicht fragen, ich würde zuerst zuhören. Wenn Sie zu mir kommen, muss es ja etwas geben, das Sie bewegt. Vielleicht lieben Sie Ihre Lebensgefährtin, sind aber nicht sicher, ob Sie gut genug für sie sind.
    Das Gefühl haben wir wirklich manchmal.
    Dann müssen wir darüber sprechen, woher es kommt, dass Sie sich manchmal nicht gut genug finden für diese wunderbare Frau. Wir müssen darüber sprechen, welche Moral Sie in Ihrer Kindheit gelernt haben. Mit welchen Werten Sie großgezogen wurden. Und ob Sie je das Gefühl hatten, diesen Werten zu genügen.
    Uns bewegt manchmal eine Frage, die wir noch wichtiger finden. Wir haben natürlich, wie fast alle Menschen, die Hoffnung, dass unsere Partner immer treu sein werden.
    Da muss ich Ihnen jede Hoffnung nehmen. Es gibt wahrscheinlich keinen Menschen, der nicht untreu ist, zumindest in der Fantasie. Es ist im Gegenteil so, dass in vielen
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