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Glauben Sie noch an die Liebe

Glauben Sie noch an die Liebe

Titel: Glauben Sie noch an die Liebe
Autoren: Jan Philipp Burgard , Justus Bender
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Prozent.
    Ja, weil die Menschen faul geworden sind. Sie pflegen ihre Beziehungen nicht mehr, sie wechseln sie aus. Dabei haben viele Menschen eine regelrechte Schicksalsneurose. Sie produzieren in allen Beziehungen immer wieder das gleiche Unglück und tauschen trotzdem den Partner aus, obwohl sie selbst schuld sind. Meinen Patienten zeige ich oft, wie sehr sie selbst an ihrem Unglück schuld sind.
    Sie sind anscheinend eine strenge Therapeutin.
    Vielleicht, aber ich habe recht. Ich habe immer wieder gesehen, wie orientierungslos viele Menschen sind. Sie fallen von einem Unglück ins nächste und kennen die Zusammenhänge nicht. Sie verstehen auch nicht, was schuld ist an dieser Orientierungslosigkeit. Würde man sich aber die Ursachen seiner Verhaltensmuster bewusst machen, die meistens in der Kindheit liegen, würde man sehen, wie unnötig viele Schicksalsschläge sind.
    Warum müssen Psychoanalytiker immer alles auf die Kindheit reduzieren?
    Weil Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, mit vielen seiner Beobachtungen recht hatte.
    Zum Beispiel?
    Etwa der, dass sich die Lust am Küssen aus unseren Erfahrungen als Säuglinge herleitet, als unsere Bedürfnisse an der Mutterbrust befriedigt wurden.
    Der Mutterkomplex. Wir hatten auf das Thema gewartet, hier in der Wohnung einer bekennenden Freudianerin. Es löst ein gewisses Unbehagen aus, das nur dadurch zu erklären ist, dass Freud entweder eine schmerzhafte Wahrheit formuliert hat oder das Talent besaß, eine eigentlich unschuldige Liebe in etwas zu verwandeln, für das man sich schämen möchte, weil es den Partner, den man liebt, mit Vater und Mutter in Verbindung bringt, und den Sexualtrieb mit Schuldgefühlen wegen vollgekoteter Unterhosen im Alter von drei Jahren belastet.
    Von der Schrankwand am anderen Ende des Zimmers, die mit Fachliteratur gefüllt ist, lächelt ein Porträt von Sigmund Freud zu uns herüber, als würde er den Verlauf des Interviews mit einigem Amüsement belauschen. Wir geben uns Mühe, uns im Gespräch mit Frau Mitscherlich eine gewisse Leichtigkeit in der Liebe zu bewahren.
    Muss eine Liebesbeziehung immer so anstrengend sein, oder sollte sie nicht mühelos sein? Es funkt, und man liebt einfach?
    Jetzt sind Sie wieder fixiert auf den Rausch. Der verfliegt aber! Ja, eine Beziehung muss auch manchmal anstrengend sein.
    Woran zerbrechen dann die meisten Beziehungen?
    Dass sich die Menschen nicht bemühen, einander wirklich zu verstehen. Sie denken wohl, sie bräuchten das nicht, denn es gibt so viele andere Menschen! Also tauschen sie den Partner aus, anstatt das Problem zu erkennen.
    Wenn wir an die Frauen denken, die im 19. Jahrhundert mit seinen rigiden Moralvorstellungen fünfzig Jahre mit einem schrecklichen Mann aushalten mussten, dann ist die Möglichkeit, sich neu zu verlieben, doch etwas sehr Befreiendes.
    So gesehen natürlich schon. Früher wurde festgelegt, wen man heiratet. Es war vollkommen wurscht, ob man diese Person liebte. Gefühle waren generell wurscht. Die Liebe war ein Luxusgut.
    Angesichts der Scheidungsrate schwelgt unsere Gesellschaft also im Luxus?
    Absolut.
    Vierzig Minuten im Gespräch mit einer Psychoanalytikerin, und wenig ist übrig geblieben vom Wunschbild der ewigen Liebe! Margarete Mitscherlich reicht noch einmal den Teller mit verschiedenen Keksen über den Wohnzimmertisch. Vielleicht zum Trost. Wir kauen etwas verdattert auf trockenen Butterkeksen herum.
    Wären wir als liebeskranke Patienten zu Margarete Mitscherlich gekommen, dies wäre der Zeitpunkt, an dem wir unsere Investition überdenken würden. Es liegt wenig Ermunterung in den Worten der Psychoanalytikerin, wenig von den sanften Worten, die sich gut anfühlen, wenn die Liebe einen umtreibt.
    Die Couch der Mitscherlich muss immer ein sehr ungemütlicher Ort gewesen sein. Fragen wir sie also, ob es die bequemen Beziehungen sind, die am Ende scheitern, weil an ihnen nicht gearbeitet wird.
    Frau Mitscherlich, man sagt immer: »Gegensätze ziehen sich an.« Aber sind die stabileren Beziehungen nicht meist die zwischen Menschen, die sich ähnlich sind?
    Das kann man so nicht sagen. Ich hatte ein junges Ehepaar bei mir in der Praxis, beide Anfang vierzig, sie stammt aus Peru und ist sehr lebhaft. Er ist Deutscher, ein Physiker, sehr intelligent, sehr in sich gekehrt. Die beiden sind völlig gegensätzlich, schon äußerlich, und führen trotzdem eine wunderbare Ehe.
    Anders gefragt: Ist es ein Zeichen einer schlechten Beziehung, wenn man viel
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