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Glanz

Glanz

Titel: Glanz
Autoren: Karl Olsberg
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ihm leichte Schmerzen zufügte, zeigte er normale Reflexe, doch er schien unfähig, irgendetwas von seiner Umgebung wahrzunehmen, so als sei sein Geist in eine fremde Dimension gereist.
    Ich konnte nicht mal weinen, fühlte mich innerlich hohl |19| und ausgetrocknet wie eine Mumie, die nur noch von ihren Bandagen zusammengehalten wird.
    Irgendwann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Als ich hochschrak, merkte ich, dass ich mit dem Kopf neben Erics Brust eingeschlafen war. Dunkle Träume verschwanden hinter einem Schleier des Vergessens, verbargen sich vor meinem Wachbewusstsein und lauerten darauf, mich im nächsten Schlaf erneut zu überfallen.
    Die junge Pflegerin namens Maria sah mich sorgenvoll an. »Sie sollten nach Hause fahren und sich ausruhen. Wir rufen Sie sofort an, sobald sich etwas tut.«
    »Aber er braucht mich«, protestierte ich.
    Maria schüttelte leicht den Kopf, sagte jedoch nichts. Wieder sah ich diese anrührende Trauer in ihrem Gesicht. Sie hatte sich noch nicht die professionelle Distanz angeeignet, die das übrige medizinische Personal auszeichnete: die Fähigkeit, das Leid anderer Menschen von sich fernzuhalten, es mit neutralem, professionellem Blick zu betrachten wie ein unbekanntes Tier. Für einen Moment glaubte ich sogar, Tränen in ihren Augenwinkeln glitzern zu sehen, doch sie wandte sich ab, bevor ich mir sicher sein konnte, und ließ mich allein.
    Am späten Nachmittag kam Dr. Kaufman in Begleitung eines zweiten Arztes in den Raum. Er stellte seinen Kollegen als Dr. Joseph Ignacius vor, einen Neurologen und Spezialisten für Wachkomafälle, der extra aus Boston angereist sei.
    Dr. Ignacius hatte ein schmales, eingefallen wirkendes Gesicht, das von wässrigen Augen dominiert wurde. Er wirkte irgendwie nicht ganz gesund, so als habe er Fieber und gehöre eigentlich selbst ins Bett. Sein fester Händedruck überraschte mich.
    »Ich würde gern noch ein paar spezielle Untersuchungen |20| an Ihrem Sohn durchführen«, sagte der Neurologe. Seine Stimme klang ein wenig heiser. Vielleicht war er wirklich erkältet.
    »Natürlich«, stimmte ich zu, ohne allzu viel Hoffnung, dass dieser kränkliche Arzt aus Boston mehr für Eric tun konnte als Dr. Kaufman.
    Mein Junge wurde von der Intensivstation in die Radiologie gebracht, wo man ein Positronen-Emissions-Tomogramm von ihm erstellte. Dr. Ignacius erklärte mir, man könne damit die Gehirnaktivitäten sehr genau untersuchen. Ich wartete auf dem Flur.
    Nach etwa zwei Stunden kam Dr. Ignacius zu mir. Seine Mundwinkel waren herabgezogen und seine Stirn war zerfurcht, aber ich wusste nicht, ob das bei ihm etwas zu bedeuten hatte oder ob es sich um einen permanenten Zustand seiner Gesichtsmuskeln handelte. »Ich kann Ihnen leider nicht mehr sagen, als dass der Zustand Ihres Sohnes stabil ist«, sagte er. »Wir haben keine Hirnschädigungen festgestellt. Die Durchblutung scheint normal zu sein.«
    »Können Sie ihn denn nicht irgendwie aufwecken?«
    »Nein, leider nicht. Aber machen Sie sich keine Sorgen, er wird sicher von selbst zu sich kommen.«
    »Aber wann? Wie lange kann denn so ein Koma dauern?«
    »Wenn wir Glück haben, ein paar Tage. Aber es gibt auch Fälle von Patienten, die monatelang oder sogar mehrere Jahre in diesem Zustand waren. Reden Sie mit ihm, geben Sie ihm Zuwendung und Liebe. Gut möglich, dass er mehr von seiner Umwelt wahrnimmt, als wir erkennen können.«
    Hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung fuhr ich nach Hause. Dr. Ignacius’ Worte hatten mir Mut gemacht, doch gleichzeitig war da diese |21| bleierne Gewissheit in meinem Magen, dass Eric nie wieder zu mir zurückkehren würde.
    Zu Hause ging ich noch einmal in sein Zimmer und sah mich um. Ich weiß nicht mehr, was ich zu finden hoffte – vielleicht Hinweise darauf, woher er die Drogen hatte, oder irgendeine Erklärung dafür, wie er in diese Abhängigkeit gerutscht war, warum er schließlich eine Überdosis genommen hatte.
    Der Raum war ein Zeugnis des stummen Ringens zwischen dem verspielten Kind, das immer noch irgendwo tief in Eric steckte, und seinem Streben, erwachsen zu werden. Zerknitterte Kleidung lag herum, die ich mühevoll gewaschen und gebügelt hatte und die nach nur einmal Tragen achtlos auf den Boden geworfen worden war. An den Wänden hingen Poster von Rockbands, und die E-Gitarre in einer Ecke kündete von Erics naivem Traum von Ruhm und Reichtum. Doch auf den bunten Regalen standen immer noch Kinderbücher von Dr. Seuss, Roald
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