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Girl

Girl

Titel: Girl
Autoren: David Thomas
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November
    Es mag unglaubwürdig klingen, aber heute war der bislang schlimmste Tag. Heute Morgen gegen halb elf erschienen diese Leute auf der Station – ein Mann und eine Frau. Er war im mittleren Alter, hatte Halbglatze, einen Schmerbauch und trug eine dieser Westen, in denen Angler ihre Utensilien verstauen. Sie war ein zierliches Püppchen im schwarzen Mini, aber ihren Gesichtszügen nach zu urteilen zäh wie Leder. Nun denn, sie kamen rein, blickten sich im Zimmer um und hatten mich auch schon erspäht.
    Bevor ich auch nur wusste, was los war, hatte der Typ schon seine Mini-Kamera aus der Westentasche gezogen und schoss fleissig Bilder von mir im Bett.
    »Gloria Tremble, von der ›Sun‹«, sagte die Frau. »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich einige Fragen stelle.«
    Noch ehe ich ein Wort sagen konnte, legte sie los: »Wie fühlen Sie sich als Opfer dieser tragischen Verwechslung?«
    »Was denken Sie wohl, wie ich mich fühle?« sagte ich.
    Inzwischen hatte sie ihren Kassettenrecorder hervorgekramt und hielt ihn mir geradewegs unter die Nase, als sei ich ein Fussballspieler, der nach dem Spiel ein Interview gibt. »Sagen Sie«, fuhr sie fort, »können Sie etwas über die Größe der Implantate sagen, die man Ihnen eingepflanzt hat?«
    »Weiß der Himmel, jedenfalls gross genug, dass sie mir ziemlich fest unter der Haut spannen. Aber was hat das überhaupt mit der ganzen Geschichte zu tun?«
    »Grossartig«, sagte sie. Und weiter: »War Ihre Familie schon zu Besuch?«
    »Yeah, Mum und Dad waren hier, aber meine Schwester Kate ist in Manchester geblieben; sie hat keinen Urlaub bekommen.«
    »O wie traurig für Sie …«
    »Yeah, kann man wohl sagen.« Und dann traf es mich wie ein Schlag: Ich redete hier mit der ›Sun‹. Ich musste vollkommen übergeschnappt sein. »Moment mal«, sagte ich und hob meine Stimme. »Was geht Sie das alles überhaupt an? Und jetzt verziehen Sie sich bitte schleunigst.«
    In dem Augenblick hörte ich, wie jemand im Laufschritt den Flur entlangeilte. Der Scharfschütze musste es auch gehört haben, denn er sagte: »Los, Gloria, lass uns verschwinden.«
    »Komme schon«, sagte sie. Dann zog sie eine Visitenkarte aus ihrer Umhängetasche. »Hier ist meine Nummer. Rufen Sie mich an, wenn Sie unser Gespräch fortsetzen möchten. Es könnte sich für Sie bezahlt machen.« Sie hielt kurz inne. »Wirklich bezahlt machen.«
    Die beiden schoben hastig durch die Tür ab, wobei der Fotograf ihnen den Weg bahnte. Sie rannten Jackie einfach über den Haufen, aber sie rappelte sich sofort wieder auf und trat zu mir ans Bett. »Alles in Ordnung?« fragte sie.
    »Yeah«, sagte ich, »aber ich kapier gar nichts mehr. Was hat die ›Sun‹ hier verloren?«
    »Hat Ihnen keiner was gesagt? Sie sind in den Schlagzeilen. Da draussen wimmelt es nur so von Reportern, Fernsehteams aus der ganzen Welt sind angereist. Das ganze Krankenhaus befindet sich praktisch im Belagerungszustand. Es ist schon echt nervig, ich kann Ihnen sagen, aber … na ja, ein junger Mann schläft nachmittags im Krankenhaus ein und wacht als Frau wieder auf. Ich mag’s ja kaum zugeben, aber ich verstehe die Neugier der Leute.«
    »Ich bin verdammt noch mal keine Frau!« brüllte ich. »Ich bin ein Mann. Und wenn dieser elende Chirurg mich erst wieder zusammengeflickt hat, werde ich genau derselbe sein, der ich vorher auch war.«
    Jackie sah mich nur an. »O Bradley«, sagte sie.
    Ich glaube, genau in dem Moment bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich meine, mir war klar, in was für einer verqueren Situation ich steckte, aber mir war nie in den Sinn gekommen, dass es sich dabei um einen Dauerzustand handeln könnte. Man hört doch ständig von Leuten, denen irgendwelche Teile wieder angenäht werden: Finger, Arme, Beine, alles Mögliche. Und wie Mum schon sagte, in Amerika hatten sie diesem Bobbitt doch auch den Penis wieder angenäht. Ich war einfach davon ausgegangen, dass sie, nachdem sie ihren Fehler bemerkt hatten, meinen Penis wie ein Eis am Stiel ins Tiefkühlfach gelegt hatten, bis sie ihn wieder auftauen und zurück verpflanzen konnten. Später am Nachmittag erfuhr ich dann die Hiobsbotschaft.
    »Guten Tag, Bradley. Wie geht’s uns denn heute?«
    Gütiger Gott, der Chirurg war vielleicht ein aalglatter Bastard. Er klang wie ein Minister, der gerade die neueste Arbeitslosenzahl zu erklären versuchte.
    »Keine Ahnung«, sagte ich. Und dann, nur um zu beweisen, dass ich meinen schnippisch-sarkastischen,
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