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Gib's mir

Gib's mir

Titel: Gib's mir
Autoren: Kristina Lloyd
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dort ein kleiner Diamantstecker.
    Ich habe ein kleines, herzförmiges Gesicht. Ich denke schon, dass ich auf meine eigene, niedliche Art hübsch bin, aber nicht klassisch und ausgewogen. Und so war ich gerade dabei, mir zu überlegen, wozu ich mich entschließen würde, wenn man mir anbieten würde, entweder schmalere Lippen oder größere Augen zu haben, als ich bemerkte, dass im Haus gegenüber jemand war; in der Eckwohnung, die wie meine im Erdgeschoss lag, stand er in einem Seitenfenster, das schmal und einfach war, kein Erkerfenster wie meins.
    Ich riskierte einen schnellen Blick. Der orangefarbene Schein einer Straßenlaterne fiel in sein Zimmer, und hinter ihm hing eine Lampe aus Papier, ein großer gelber Ball, der matt leuchtete. Ich konnte ihn ganz deutlich sehen, ebenso deutlich, dachte ich, wie er mich. Er schien in meine Richtung zu blicken, und plötzlich bekam ich Lust, ihm meinen Bauchnabel zu zeigen. Ob er ihn sehen konnte, wenn ich mich ein bisschen streckte? Ob er ihn interessieren würde?
    Ich machte weiter mit dem, was ich mir vorgenommen hatte. Das war gerade ziemlich knifflig, da ich versuchte, eine Art Überwurf hinzubekommen, und dazu diese kleinen Klammern an dem dünnen Stoff festmachen musste. Und wenn ich mich bei den Abständen vertan hatte, musste ich alle ab- und wieder anklammern. Ich hatte einfach nicht genug Gardinenringe besorgt, das war das Problem. Der Typ auf der anderen Seite der Straße sah weiter zu.
    Bereits an diesem Punkt war mir klar gewesen, dass er mich tatsächlich beobachtete . Das Haus, in dem ich wohne, befindet sich an der Ecke einer kleinen, eher ruhigen Straßeneinmündung; rechts herunter gibt es außer der anderen Straße nicht sehr viel zu sehen, und nach links war sein Blick ganz bestimmt nicht gerichtet. Ja, ganz klar schien er mich zu beobachten.
    Ich brachte die eine Gardine fertig an und dann noch eine weitere zur Hälfte, bevor ich runterklettern und die Kommode in eine neue Position bringen musste. Unelegant – es gab einfach keine andere Möglichkeit als so – krabbelte ich wieder hoch, mit einem Wust von Musselin über der Schulter und etlichen Klammern zwischen den Lippen. Er war immer noch da, was mich nicht nur beunruhigte, sondern, mehr noch, fast sauer machte. Ich schaffte es, zwei ganze Bahnen aufzuhängen und mich dabei hinter dem Stoff zu verstecken, um den Streifen Haut vor ihm zu verbergen, der zwischen meinem Hosenbund und dem T-Shirt hervorblitzte, wobei mir klar war, dass ich dabei ziemlich alberne Verrenkungen machte.
    Das kann doch nicht wahr sein, dachte ich. Das konnte wirklich nicht wahr sein. Warum sollte ich mir so was von ihm gefallen lassen? Wie konnte ich zulassen, dass mich irgendein bekloppter Typ derart aus dem Konzept brachte?
    In einem Anfall von Kühnheit brachte ich es fertig, mich kerzengerade hinzustellen und seinem starren Blick fünf oder sechs Sekunden lang ungerührt auszusetzen, um ihn dazu zu bewegen wegzuschauen. Er war groß und schlank, mit olivenfarbener Haut, sein dunkles Haar kurz geschnitten. Er sah nicht fort, und fünf oder sechs Sekunden sind eine lange Zeit, wenn man sie damit verbringt, einem Fremden seinen Blick aufzudrängen. Ich löste den Blickkontakt, während ich immer noch vor Genervtheit brodelte, und fuhr fort, mit meinen Haken und Klammern zu hantieren.
    In Abständen sah ich immer wieder hinüber. Er bewegte sich nicht, und allmählich begann ich echt sauer zu werden. Verdammt nochmal, was glaubte er, wer er war, dass er auf diese Art und Weise meine Intimsphäre verletzte? Dass er sich erlaubte, mit seinen dreckigen, unhöflichen Blicken in meine Wohnung, mein Allerprivatestes, einzudringen?
    Ärger ließ mein Gesicht starr vor Anspannung werden, ließ mich tief und schwer Luft holen. Mir fiel eine Klammer herunter – ich war einfach nicht konzentriert genug bei der Sache –, was mir einen lauten Fluch entlockte. Das war zu viel. Länger konnte ich es nicht aushalten.
    Ich schob die Gardine von mir fort, diesmal wirklich entschlossen, ihn mit meinem Blick in die Flucht zu schlagen. Ich stemmte herausfordernd eine Hand in die Hüfte und sah ihn wütend an.
    Er machte mich nach; wirklich, wie in einem Spiegel machte er mir alles nach! Er verlagerte sein Gewicht und legte affektiert eine Hand auf seinen Hüfte. Ich meinte, ihn lächeln zu sehen. Ich fühlte mich ein wenig unwohl und streckte mich. Er tat dasselbe. Ich blieb einen Moment still und verschränkte die Arme vor der Brust. Und
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