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Gib's mir

Gib's mir

Titel: Gib's mir
Autoren: Kristina Lloyd
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weg.
    Ich kann einfach immer noch nicht fassen, dass dies hier KörperSprache sein soll.
    Ich kann nicht glauben, dass ich dies alles für Ilya tue.
    O Gott, wie konnte ich in diese ganze Sache bloß so tief reinrutschen? Eigentlich sollte es doch bloß ein Spiel sein.
***
    Vor ein paar Monaten mietete ich mir eine neue Wohnung – eine halbe erste Etage spätviktorianischen Prunks. Ich hatte es sattgehabt, immer alles mit anderen zu teilen; KörperSprache entwickelte sich ziemlich gut; und ich dachte mir, wo ich doch gerade dreißig geworden war, wäre es jetzt wohl an der Zeit, erwachsen zu werden, und suchte mir deshalb eine Bleibe ganz für mich allein.
    Ich war schon seit mehr als zwei Wochen dort und endlich dazu gekommen, einen Berg dünnen Baumwollstoffs mit der Nähmaschine zu bearbeiten – in dem Versuch, ein paar halbwegs anständige Gardinen hinzubekommen. Die Leute hier haben es sonst nicht so mit Gardinen.
    Die Bewohner von Brighton sind ein ziemlich unsteter, zusammengewürfelter Haufen, dessen Ein- und Ausziehen den Gezeiten ähnelt. Man lebt so, dass man sich zu mehreren eine Wohnung teilt, oft sind die Räume so klein, dass kaum mehr als ein Bett darin steht; in hohen Häusern mit Stuckfassaden, deren Inneres man für einen modernen Lebensstil zerhackt hat. Und damit verbunden sind auch riesige, mehrflügelige Erkerfenster, bei denen es ein Vermögen kosten würde, sich dafür Gardinen anfertigen zu lassen.
    Fast überall, wo man hinsieht, schaut man auf kaputte Jalousien und schäbige Vorhänge: zu kurz, zu schmal, zu billig, zu hässlich. Und all die Reihen einst eleganter Häuser mit ihrer abblätternden Farbe und ihren Mischmasch-Fenstern scheinen dem Betrachter zuzurufen: «Wer immer hier gerade wohnt, sie alle werden nicht lange bleiben; jeder hier ist auf dem Weg zu einem anderen Ort, um seine Träume zu verwirklichen.»
    Trotzdem gibt es hier viele Leute, die, so wie ich, niemals wirklich dazu kommen, wieder wegzuziehen. Eigentlich haben sie niemals vorgehabt, in Brighton zu bleiben. Es ist einfach so passiert: «Entschuldigung, hab einfach vergessen, wieder abzuhauen. Ich habe einfach zu viel Spaß gehabt hier.»
    Und überhaupt, wer braucht Gardinen? In Brighton bleibt man sowieso nicht zu Hause. In Brighton geht man raus zum Spielen.
    Ich aber hatte Lust «Hauseinrichten» zu spielen. Ich hatte daran unangemessen viel Spaß. Ich suchte mir ein paar Möbel in den Trödelläden der Portland Street und auf dem Sonntagsflohmarkt zusammen, und ich erging mich in dem Vergnügen von «Wo kommt dies hin, und wo soll das stehen?».
    Aber auf jeden Fall wollte ich Gardinen. Bisher hatte ich, aus Gründen des Sichtschutzes, ein kunterbuntes Gemisch aus Bettlaken, Wolldecken und Sarongs quer über die untere Hälfte aller Fenster genagelt. Tagsüber hielt ich sie mit Knoten und Schals irgendwie hoch und zusammen. Das sah scheußlich aus, und immer wieder fielen die Nägel raus. Also kaufte ich mir Musselinstoff.
    Es war schon spät, nach elf, als ich begann, den Stoff anzubringen. Ich musste auf eine Kommode steigen, um an die Gardinenstange zu kommen, wieder runterklettern, wenn ich mit einem Abschnitt fertig war, sie weiterschieben und dann wieder raufsteigen. Mein Schlafzimmer liegt an der Vorderseite des Hauses, und diese Fenster nahm ich mir als Erstes vor. Dann kam das Wohnzimmer dran, das zur Seite des Gebäudes zeigt.
    Ich erinnere mich noch daran, dass ich gerade dabei war, das große Mittelfenster des Erkers zu verhängen und dabei mein Spiegelbild auf der dunklen Scheibe sah. Ich war barfuß und trug meine beigefarbenen Hosen und das dunkelblaue T-Shirt mit den weißen Streifen an den Ärmeln. Gerade dachte ich, dass ich eigentlich immer ein bisschen chaotisch, wie durch den Wind aussehe.
    Zu der Zeit trug ich mein Haar gerade in einem Mix aus gold- und kupferfarbenen Strähnen – einer herauswachsenden, von der Sonne ausgeblichenen Tönung – und meinem natürlichen Hellbraun. Mein Haar wechselt immer zwischen glatt und wellig. An jenem Abend war es eher glatt, und deshalb hatte ich es zu einem losen, unordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden. Meine Augen sind braun, mandelförmig und meine Lippen voll. Ich finde immer, es gehört sich irgendwie nicht, so schmale, schräge Katzenaugen zu haben und einen so großen, üppigen Mund. Meine Nase ist richtig gut: gerade und klein. Die mag ich so gern, dass ich mir vor ein paar Jahren ein Piercing habe stechen lassen. Seitdem glitzert
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