Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gib's mir

Gib's mir

Titel: Gib's mir
Autoren: Kristina Lloyd
Vom Netzwerk:
genau das tat auch er.
    Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Eine Ewigkeit müssen wir so gestanden haben, Fremde, einander gegenüber in einer dunklen Straße, ein Stockwerk entfernt vom Pflaster, eingerahmt vom Licht ihrer Fenster. Wenn er sich jetzt bewegen sollte, dachte ich, dann würde ich ihn nachahmen. Aber er tat es nicht; er stand ganz still. Vielleicht sollten wir’s für heute dabei bewenden lassen, wechselte ich zur nächsten Verteidigungsstrategie über. Ich könnte die Gardinen auch morgen zu Ende aufhängen. Aber dann dachte ich, nein, Moment mal, warum sollte ich das eigentlich tun? Ich wollte die verdammten Dinger endlich dranhaben. Und außerdem hatte ich am nächsten Tag viel vor.
    Noch immer kann ich nicht fassen, was ich dann gemacht habe, aber ich habe es getan. Ich ließ einen prüfenden Blick über die anderen Häuser gleiten, versicherte mich, dass niemand anderes zusah und zog mir mit einer raschen Bewegung das Hemd über den Kopf. Darunter hatte ich nur noch meinen lilafarbenen BH.
    Da stand ich also auf meiner Kommodenbühne, mit dem T-Shirt in der Hand und mit wild klopfendem Herzen. Trotzig straffte ich die Schultern. Das war meine Art, mit meinem Körper auszudrücken: Sie wollen also unterhalten werden? Na gut, hier haben Sie’s, mein Herr. So leicht lasse ich mich nicht schrecken. Aber jetzt hauen Sie gefälligst ab und lassen mich in Frieden.
    Es war mir nicht in den Sinn gekommen, dass er mich auch jetzt noch imitieren könnte. Aber genau das tat er.
    Nach einigen sich lange hinziehenden Sekunden des Herüberschauens zog er rasch seinen Rolli aus. Die Konturen seines nackten Oberkörpers waren schlank und kräftig und seine Haut von einem Braun, das mediterrane Tiefe hatte, nicht nur die Oberflächlichkeit einer sommerlichen Vergoldung. Er hielt seinen Pulli auf dieselbe Art in seiner linken Hand, wie ich mein T-Shirt in der rechten Hand hatte. Ich schluckte heftig. Meine Zunge fühlte sich dick und schwer an. Meine Knie waren plötzlich weich wie Butter.
    Was fiel ihm ein? Hatte er so was schon mal gemacht? War das seine Art, sich aufzugeilen? Aber jetzt war ich wieder dran. Was sollte ich als Nächstes tun? Begab ich mich damit in Gefahr?
    Ich ließ mein T-Shirt fallen, er warf seinen Pullover hin.
    Irgendwie war diese Situation für mich schlimmer als alles, was ich bis dahin erlebt hatte, unheimlicher. Der heftige Schrecken dieses Augenblicks presste hundert Herzschläge in einen einzigen. Wie auf einem Wellenkamm bewegte ich mich – erst handeln, dann denken –, bis mein unbändiger Starrsinn aus der Gischt wieder auftauchte. Nervös ließ ich meinen Blick über die Dachterrassen schweifen, die vor dem gläsernen Schaukasten lagen, in dem ich mich befand. Über den Dächern erhob sich der Himmel in einem blassen Orange, Straßenlaternenfirmament. Die Bäume lagen im Dunkeln, und in den Fenstern um mich herum bewegte sich nichts. Ich hatte, soweit ich das beurteilen konnte, nur diesen einen Zuschauer.
    Ich konnte mich doch jetzt nicht einschüchtern lassen. Stattdessen würde ich ihn austricksen. Mit zitternden Händen griff ich hinter meinen Rücken, hakte meinen BH auf und ließ ihn fallen. Meine Brüste sind prall und fest, schön gerundet. Wenn ich meinen BH ausziehe, fallen sie nicht irgendwie schwer nach unten. Deshalb stand ich stolz da, mit noch ein wenig weiter durchgedrücktem Kreuz, um sie noch etwas kecker in die Luft ragen zu lassen.
    Das konnte er mir nicht nachmachen, dachte ich triumphierend, aber dennoch ein bisschen ängstlich.
    Ich bemerkte, wie sich seine Schultern in einem tiefen Atemzug hoben, und spürte einen Anflug von Erleichterung. Ich fühlte mich wie eine siegreiche, barbusige Amazone, und er, mein übertölpelter Gegner, starrte in ehrfürchtiger Bewunderung herüber und gab sich geschlagen.
    Doch dann, geschickt, öffnete der Kerl seinen Gürtel, zog den Reißverschluss auf, ließ alles zu Boden sinken und richtete sich auf, wie um meine Herausforderung anzunehmen. Sein Schwanz war steif und erhob sich in steilem Winkel aus dunklen Löckchen.
    Ich war keine Amazone.
    Am Ende der Straße fuhr mit quietschenden Reifen ein Taxi vorbei.
    Ich war Beth Bradshaw – jene Beth Bradshaw, die blöd genug war, hier mit nackten Titten in der Gegend herumzustehen.
    Und plötzlich bekam ich Angst, mächtige Angst.
    Ich riss die Gardinen vor mir zu und stieg hastig von meinem Podest. Die Vorstellung war zu Ende. Das T-Shirt vor die Brust gedrückt, sah
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher