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Gib's mir

Gib's mir

Titel: Gib's mir
Autoren: Kristina Lloyd
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plötzlich schrecklich dumm. «Danke.» Und dann ging ich.
    Draußen lehnte ich mich an das spitzige schwarze Geländer, mit dem Rücken zur See, damit ich den Umschlag im Windschatten hielt. Ich öffnete ihn mit kräftigen, entschlossenen Bewegungen, hatte aber riesige Angst, dass mir sein Inhalt sofort entrissen und hoch hinauf in den Himmel gewirbelt werden könnte und ich dann niemals erfahren würde, was darin stand.
    Eine Ansichtskarte von Brighton steckte darin. Ich drehte sie schnell um, ließ meine Blicke hastig nach irgendeinem Sinn suchen, nicht so sehr nach ganzen Sätzen.
    «Tintenfisch» war das allererste Wort, das ich registrierte. Es sprang mir regelrecht entgegen – kalt und brutal.
    Nein, dachte ich immer wieder, das ist doch mein Wort. Deswegen bin ich doch hier. Es gehört mir. Ich war so weit. Ich würde es sagen. Den ganzen Morgen war es mir schon durch den Kopf gegangen. Du hast es einfach gestohlen. Das ist doch nicht fair.
    Dann las ich die ganze Nachricht:
    Es tut mir leid, Beth. Es war wundervoll. Du warst wundervoll – viel mehr, als ich verdiene. Aber ich weiß einfach nicht, wie ich Dir gegenüber fair bleiben kann. Vielleicht war ich auch nie fair. Tony will mehr von Dir – ich denke, Du wirst geahnt haben, dass das passiert. Und auch ich wusste es. Aber beides zusammen geht nicht, und deshalb denke ich, dass jetzt wohl Schluss ist mit uns, Süße. Du bist so viel mehr wert als ich. Es ist Zeit, dass ich gehe. Diesen Sommer werde ich nie im Leben vergessen. Ich hoffe, auch Du nicht.
    In Liebe – Tintenfisch, Ilya
    PS: Dein Auftritt gestern Abend hat mir den Verstand geraubt. Ich werde über Jahrzehnte mit einem steifen Schwanz herumlaufen müssen. Mach weiter so.

    Ich ging hinunter an den Strand.
    Jede Menge Kiesel waren hinauf bis an die Promenade gespült worden, versetzt mit allerhand Unrat, den die See ausgespuckt hatte.
    Ich weinte nicht.
    Die Wellen waren riesig und tosten heran, schlugen auf und spritzen hoch, als ob sie gegen Felsen donnerten und nicht nur auf flachen Strand. Und an den Lahnungen brach sich die See sogar noch gewaltiger, entsandte weiße Schaumflocken hoch in den Himmel.
    Es war ziemlich laut.
    Erst hinterher fand ich heraus, dass uns der Ausläufer irgendeines Wirbelsturms aus Amerika erwischt hatte, aber in diesem Moment wusste ich das noch nicht.
    Der Wind pustete mich durch, und von Zeit zu Zeit packte er mich so heftig, dass ich wie betrunken im Zickzack taumelte. Es war warm und feucht: Meine Augen fingen gar nicht an zu tränen, wie sie es bestimmt bei kaltem Wind getan hätten. Diese Luft hatte vielmehr den gegenteiligen Effekt: Sie bewirkte, dass meine Augäpfel sich merkwürdig trocken anfühlten. Was wahrscheinlich gut so war.
    Ziemlich viele Leute waren zu sehen, die einfach nur am Strand entlangwanderten, auf die See hinausblickten und ihre gewaltige, wütende Schönheit bestaunten.
    Lange Zeit war ich wie betäubt. Dann spürte ich, wie ich immer bitterer und aufgebrachter wurde, da er Schluss gemacht hatte, was doch eigentlich mein Vorrecht gewesen wäre.
    Es war, als hätte er, wieder und zum letzten Mal, überraschend den Spieß umgedreht, und ich musste es eben hinnehmen. Vom Anfang bis zum Ende war es immer Ilya gewesen, der die Oberhand haben musste und der mich zu übertrumpfen versuchte. Und nun hatte er sich einfach so davongemacht. Niemals würde er erfahren, dass ich bereit gewesen wäre, die Sache von mir aus zu beenden; dass ich genug gesehen hatte von seiner gewalttätigen, betrügerischen, zwielichtigen Welt; und dass unser Spiel ein Ende hatte, weil es von einem größeren Spiel verschluckt worden war, das für meinen Geschmack zu finster und zu dreckig war.
    Ich stellte mich der See entgegen, doch nicht zu nah, da ich die Gefahr nicht herausfordern wollte. Ich war innerlich wirklich durch mit dem Thema Ilya, und außerdem könnte ich das sowieso nicht.
    Die Böen waren so stark, dass ich mich ihnen richtig entgegenstemmen musste. Es fiel regelrecht schwer zu atmen. Der Wind war zu schnell, um ihn durch die Nasenlöcher aufzunehmen, also musste ich den Mund öffnen, und meine Wangen vibrierten, während die Luft in meinen Hals strömte. Sie war köstlich, denn sie war warm und gleichzeitig salzig.
    Ich musste lachen. Ich fühlte mich albern und erhaben zugleich. Ein feiner salziger Nebel ließ mein Gesicht immer feuchter werden. Und plötzlich packte mich eine verrückte Glückseligkeit, und ich hatte das Gefühl, ich könnte
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