Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen
Autoren: Ernst Vlcek
Vom Netzwerk:
Seite wirkte neben ihm zierlich und zerbrechlich. Auch sie trug einen ledernen Motorradanzug. Es waren Jimmy und Erika.
    Sie blieben wie angenagelt stehen und blickten direkt in die Aufnahmeoptik. Ich hatte das Gefühl, als sähe Jimmy mich an. Aus dem Vordergrund tauchten nun drei silhouettenhafte Gestalten ins Bild. Eine davon hatte meine Rückenansicht. Ich erkannte mich! Die anderen beiden waren mir auch nicht unbekannt. Sie schwangen Motorradketten.
    Jimmy wollte seinen Arm schützend um Erika legen, aber sie entwand sich ihm und kam zu mir. Jimmy schimpfte und fluchte und griff dabei in die Tasche, wie um eine Waffe hervorzuholen. Aber da hatten ihn die beiden Gegner erreicht. Erika sah der Auseinandersetzung teilnahmslos zu, die sich zwischen ihrem Verflossenen und den von mir angeheuerten Schlägern abspielte. Jimmy wurde niedergeknüppelt. Erika drängte sich an mich. Jimmys Racheschwur endete in einem animalischen Schmerzensschrei. Die Szene wurde abgeblendet.
    »Woher haben Sie diese Aufnahme?« fragte ich keuchend. »Wie ist das möglich?«
    »Für meinen Mandanten ist nichts unmöglich«, sagte Dr. Trotta. »Er ist, wie man so schön sagt, allmächtig und allwissend, mit einer gravierenden Einschränkung allerdings, auf die ich noch zu sprechen komme. Mit seiner Unterstützung konnte ich Ihre Vergangenheit durchleuchten und mir sozusagen ›live‹ meine Informationen holen. Wollen Sie noch eine Kostprobe?«
    Der Bildschirm leuchtete wieder auf und zeigte eine andere Szene. Das Innere eines Kurzwarengeschäfts war zu sehen. Eine Frau in mittleren Jahren, korpulent und hausbacken, stand mit ihrem etwa sechsjährigen Sohn am Verkaufspult. Im Hintergrund kramte eine Verkäuferin in Schubladen. Da griff der Junge blitzschnell zu und brachte ein Nähkissen an sich, das die Form eines Pantoffels hatte. Niemand merkte etwas von dem Diebstahl, aber ich erinnerte mich auf einmal wieder dieses Vorfalls. Meine Mutter hatte ich sofort erkannt, aber von mir als Sechsjährigen besaß ich eine etwas andere Vorstellung.
    Es war ein beklemmendes Gefühl, seine erste kindliche Verfehlung als unbeteiligter Zuschauer mitzuerleben. Und es war wirklich so, als würde die Vergangenheit vor meinen Augen wieder aufleben.
    Die nächste Szene spielte in einem Warenhaus. Drei Jungen um die Zehn schlenderten durch die Spielwarenabteilung und stopften in Momenten, in denen sie sich unbeobachtet fühlten, alles unter ihre Jacken, was ihnen zwischen die Finger kam. Einer davon war ich. Da griff eine behaarte Hand ins Bild und packte mich am Schlafittchen. Es war der Hausdetektiv, der sich mir durch einige saftige Ohrfeigen vorstellte. Ich trat in meiner Verzweiflung um mich, traf ihn zwischen die Beine und kam so frei.
    »Es genügt«, sagte ich und wischte mir mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. »Sie haben mich geschafft, Paula. Aber was soll’s? Ich dachte, Sie hätten keine Vorurteile gegen mich?«
    »Es sollte nur eine Demonstration der Möglichkeiten sein, die mein Mandant mir gegeben hat«, sagte sie und schaltete das TV-Gerät aus. »Ich habe Ihnen die Bilder nur gezeigt, damit sie mir vertrauen und glauben, wenn ich Ihnen erzähle, was dahintersteckt. Die Wahrheit ist nämlich so phantastisch und unglaublich, daß man von keinem Menschen verlangen kann, sie ohne Beweise zu akzeptieren. Und es hängt sehr viel davon ab, daß Sie sie nicht anzweifeln.«
    »Das ist starker Tobak«, sagte ich, noch immer unter dem Einfluß des Gesehenen stehend. »Wer ist Ihr Mandant eigentlich?«
    »Das ist sehr schwer zu erklären«, erwiderte sie. »Aber ich muß es versuchen, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie mich für verrückt halten. Das haben übrigens die anderen Kandidaten auch getan, aber am Ende konnte ich sie doch überzeugen. Mein Mandant hat alle erdenkliche Macht. Er ist unsterblich und lenkt seit einigen tausend Jahren die Geschichte der Menschheit. Sein Wirken ist von den Menschen nicht unbemerkt geblieben, wenn sie ihn selbst auch nie zu sehen bekommen haben. Aber zu allen Zeiten fühlten die Menschen, daß es da jemanden geben müsse, der ihr Schicksal lenkt. Sie haben ihm viele Namen gegeben und ihn verehrt, und kein geringer Teil der Menschheit tut es auch heute noch.« Sie blickte mir fest in die Augen und erklärte: »Sie wissen, von wem die Rede ist, Andy.«
    »Ja, mir schwant da was«, erwiderte ich. »Und ich denke, daß Sie auf Abwege geraten, Paula …«
    »Lassen Sie mich weitersprechen, ehe Sie ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher