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Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen
Autoren: Ernst Vlcek
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gesetzt wurde, unter Erfolgszwang stand und dem Streß nicht gewachsen war.
    Aber ich konnte Dr. Trotta dennoch nicht als sektiererische alte Jungfer einschätzen. Nicht nur, weil sie mir mit den Bildern aus meiner Vergangenheit eine Demonstration phantastischer Möglichkeiten gegeben hatte. Mehr noch überzeugte mich ihre Ausstrahlung. Auf eine unerklärliche, nicht zu beschreibende Art wirkte sie auf mich glaubhaft.
    »Jetzt sind Sie am Zug, Andy«, sagte sie in das Schweigen. »Könnten Sie sich in der Rolle eines Hüters der Menschheit vorstellen? Jetzt kann ich Ihnen verraten, daß Sie ein durchaus geeigneter Kandidat sind. Über Ihre ethische und moralische Reife machen Sie sich nur keine Gedanken. Auch Sie würden mit der Aufgabe wachsen. Aber Sie müßten sich bis Mittag entscheiden.«
    »Warum so bald?«
    »Ich werde Ihnen den Grund zeigen, Andy. Bilder vermögen mehr zu sagen als tausend Worte.«
    Ich wandte mich dem Bildschirm zu, als er aufleuchtete. Eine seltsame Beklemmung ergriff von mir Besitz, denn ich ahnte, daß ich dort ein bedeutungsvolles Ereignis zu sehen bekommen würde.
     
    Es war eine ganz alltägliche Straßenszene. Links und rechts der Fahrbahn erstreckte sich eine Blechschlange geparkter Autos und verlor sich auf beiden Seiten zwischen den Häuserschluchten. Es herrschte kaum Verkehr. Gerade rollte ein einzelner Lieferwagen von links durchs Bild. Einige wenige Passanten waren unterwegs.
    Eine Uhr über einem Juweliergeschäft zeigte eine Minute vor zwölf, der Sekundenzeiger machte seine letzte Runde auf dem Weg zur vollen Stunde. Ein kleines Mädchen zog einen Königspudel an der Leine hinter sich her, der bei jedem Autoreifen sein Hinterbein heben wollte.
    Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig kam ein Mann in großer Eile gelaufen. Er war der einzige unruhige Pol in diesem friedlichen Straßenbild. Er stieß fast mit einem anderen zusammen, der, in einen Prospekt vertieft, gerade aus einer Buchhandlung trat. Der Läufer, der gehetzt wirkte, als seien die Furien hinter ihm her, konnte gerade noch im letzten Moment ausweichen. Er trug einen grauen Mohairanzug und einen braunen Schlips, der im Ton zu den modisch-spitzen Schuhen paßte. Sein brandrotes Haar hing ihm wirr ins Gesicht und klebte ihm auf der schweißnassen Stirn.
    Der Mann war ich.
    Ich sah mich gehetzt hinter mich blicken. Aber es war kein Verfolger zu sehen. Das Mädchen mit dem Königspudel blickte mir von der anderen Straßenseite neugierig nach, und ihr Hund nutzte die Gelegenheit, um sein Geschäft zu verrichten.
    Nun sah ich mich auf eine Lücke in der Schlange geparkter Autos zusteuern. Wieder blickte ich mich angstvoll um. Irgendwo heulte ein Motor auf, während ich durch die Lücke auf die Fahrbahn trat. Das Heulen des Motors wurde stärker und veränderte sich gleichzeitig, als eingekuppelt wurde und die Pferdestärken auf die Räder wirksam wurden.
    Es war Punkt zwölf. Von irgendwo klang durch den infernalischen Motorenlärm das Schlagen einer Kirchenglocke. Wie signalisierende Omen tauchten in rascher Reihenfolge der Juwelierladen, das Mädchen mit dem Königspudel, der prospektlesende Passant und ein blauer, sich drehender Würfel mit einem weißen »P« groß im Bild auf. P wie Parken.
    Ich sah mich in der Mitte der Straße entsetzt innehalten. Mein Gesicht war eine Studie des Grauens und Entsetzens. Ein röhrender Schatten schoß heran, traf mich und wirbelte mich in die Luft, schlingerte und fuhr weiter. Ich beschrieb, mit schlenkernden Armen und Beinen, einen hohen Bogen, bevor ich wie eine Puppe auf dem Asphalt aufschlug.
    Der Bildschirm wurde dunkel.
     
    »Sie haben soeben Ihren Tod mitangesehen, Andy«, drang Dr. Trottas Stimme zu mir. »Es tut mir leid, daß ich Ihnen diesen Schock versetzen mußte. Aber ich kam nicht umhin, Ihnen zu zeigen, was auf Sie wartet, wenn Sie mein Angebot ausschlagen.«
    »Ich glaube es nicht«, sagte ich atemlos. Ich war ziemlich fertig. »Es wird nicht passieren. Ich werde es nicht zulassen. Durch mein Wissen um dieses Ereignis kann ich verhindern, daß es Wirklichkeit wird. Ich werde um diese Zeit einfach nicht außer Haus gehen.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Sie haben Ihre Einwilligung dazu gegeben, daß ich Ihre Erinnerung an alles, was Sie hier gesehen und gehört haben, löschen darf. Sie können Ihrem Schicksal nur entgehen, wenn Sie statt des unabwendbaren Todes multiple Unsterblichkeit wählen.«
    »Aber warum ich? Ausgerechnet ich?«
    Wieder schüttelte sie
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