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Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen
Autoren: Ernst Vlcek
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    Es wird noch so kommen, daß ich mich eines Tages in einer meiner Alptraumvisionen wiederfinde und mir mein trautes Heim nicht mehr vertraut ist. Ich habe genug Vorstellungskraft, um mir dieses unerwünschte, beängstigende Morgen vorstellen zu können.
    Diesen Tag ohne Licht, die Fenstervierecke ausgefüllt mit Schwärze, die von keinem Lichtstrahl durchdrungen wird. Ein Nichts. Ein finsteres Vakuum, das ausgefüllt ist mit giftigem Brodem und ein einziger, endloser Morast ist, durch den, unsichtbar und doch greifbar, alle denkbaren Monstrositäten stapfen, die die scheinbare Totenstille mit ihrem Wehklagen und ihrem mörderischen Gebrüll erfüllen. Sie rufen mich! In dieser von Schauergestalten bevölkerten Leere wird es kein Überleben geben, keinen Zufluchtsort, der einem Gejagten wie mir Asyl bieten könnte.
    Nur die eigenen vier Wände werden mir und meiner Familie Schutz bieten. Aber es ist eine trügerische Sicherheit, eine papierene Bastion, die jederzeit von den Belagerern eingerannt werden kann. Wir werden Gefangene meiner Phantasie sein und die Fenster und Türen verrammeln, um diese von mir erdachten Ausgeburten auszusperren.
    Es wird ein böses Erwachen geben, und es mildert die Schrecken nicht, wenn ich das Kommende schon heute ahne. Das Ereignis wird mich ebenso überraschen wie die Meinen, nur werde ich in dieser Stunde der Wahrheit die Ruhe bewahren müssen, um nach einem Ausweg aus diesem Dilemma zu suchen. Denn nur ich allein werde diese Bedrohung abwehren können.
    Ich werde meine Entschlüsse schon fassen, während die anderen noch schlafen. Und wenn ich aufstehe, um mich für den schwersten Gang zu rüsten, wird ein Nuscheln unter der Decke hervorkommen, die sich meine Frau bis zu den Augen hochgezogen hat. Das tut sie auch heute, weil sie bei offenem Fenster schläft, obwohl sie friert, und sie wird es auch dann tun wollen, wenn es so kommt, wie ich fürchte. Nur werden wir uns in dieser Zeit ein offenes Fenster nicht leisten können, weil sonst all das Schlechte und Abartige eindringt, das ich in vielen Jahren abgestoßen habe und erledigt glaubte, das aber nun wie ein Bumerang auf mich zurückkommt.
    »Weißt du, Schatz«, werde ich sagen, »ich habe mir gerade überlegt, daß es gar kein Problem wäre, wenn wir einen Sohn hätten, der Petroleum hieße. Wir könnten ihn einfach Pedro nennen, und die Leute würden gar nichts merken.«
    An dieser Redensart wird sie merken, was los ist. Sie wird unter der Decke hervorkommen, die ihr keinen Schutz bieten kann, und im Halbschlummer Verwirrung und Unbehagen zeigen.
    »Ist es wieder einmal soweit?« wird sie besorgt fragen. »Ist es denn noch nicht vorbei?«
    »Es beginnt erst.«
    »O nein, nicht schon wieder. Mach endlich Schluß mit deinen Freaks und Monstren und Marsmenschen. Rechne mit ihnen ab.«
    »Das werde ich tun!« Doch sie wird das anders auslegen. Sie wird meinen, daß ich meine Eigenwelt ignorieren soll, um sie so zu eliminieren. Aber das wird nicht gehen, denn sonst müßte ich mich selbst verleugnen; der einzige Ausweg wird sein, mich meinen geistigen Schöpfungen zum Kampf zu stellen. Und dazu werde ich mich entschließen: »Ich stelle mich dieser Bande von Abnormitäten!«
    Mein Wankelmut hat sie in der Vergangenheit immer erbost, aber meine zukünftige Entschlossenheit wird sie entsetzen. Sie wird mich anflehen und zu überreden versuchen, das Schreiben einfach aufzugeben und mich etwas Sinnvollerem zu widmen, zum Beispiel ihr und den Kindern. Aber sie haben ja ihren Platz in meinem Universum.
    »Verlange nicht von mir, daß ich das Atmen einstelle«, werde ich sagen und das Schlafzimmer verlassen, in dem festen Entschluß, der häuslichen Idylle den Rücken zu kehren. Aber auf meinem Weg sind zwei Hindernisse zu überwinden, meine Herren Söhne, neun und fünfzehn, die in diesem zeitlosen Alptraum nicht gealtert sein werden, wie überhaupt alles unverändert zu sein scheint.
    »Papa, warum sagt man eigentlich Rothäute? Indianer sind doch nicht nur heute rot.« Das sind Worte, die ich meinem Filius in den Mund gelegt haben könnte. Aber ich werde mich durch diese Frage nicht aufhalten lassen.
    »Was machst du?«
    »Ich gehe hinaus, um das Dunkel zu vertreiben.«
    »Aber es scheint die Sonne.«
    Glückliche, ahnungslose Kinderseele, ich werde dir deinen Glauben an die heile Welt nicht nehmen, ich werde sie dir zurückgeben. Ich werde wissen, was zu tun ist, Geister, die man rief, kann man nur durch noch mächtigere Geister
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