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Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen
Autoren: Ernst Vlcek
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austreiben. Das ist wie Feuer mit Feuer bekämpfen.
    Und dann werde ich hinaustreten in diese Welt, die sich als die gewohnte darbietet, aber durch mich zu einer gegensätzlichen geworden ist. Mit einer stürmischen Atmosphäre, einem Orkan in Momentaufnahme. Die Frühlingsluft so klirrend wie Eis und gleichfalls dickflüssig wie Magma. Der Boden unter den Füßen ein Sumpf ohne Halt, mit dem Unten nach oben und seitenverkehrt. Das Innere nach außen und in sich gestülpt. Gehen ist Treten am Platz, und es läßt eine unendliche Anzahl von Welten an dir vorbeiziehen, die dann, wenn es so kommt, Realität geworden sind. Vielgestaltige Geschöpfe werden Revue passieren – Geschöpfe, denen allen ich Leben eingehaucht habe.
    Ich werde die Konfrontation mit ihnen suchen, und ich weiß schon jetzt, daß sie ihren ganzen angestauten Unmut, der sich zu Haß gesteigert haben könnte, an mir werden abreagieren wollen. Doch werden sie mich nicht antasten können, weil ich der Mittelpunkt ihres Seins bin und es sie ohne mich nicht geben kann.
    O, ich kenne ihre Anklage.
    »Du glaubst, dich selbst reinigen zu können, indem du alles dir Unliebsame in krause Gedanken verpackst und niederschreibst. Du hast dir damit ein Ventil geschaffen und entledigst dich allen Ballastes beim Drauflosfabulieren, weil du glaubst, so eine Sphäre der Sicherheit und Geborgenheit um dich zu schaffen. Du hast deinen Schmutz aufs geduldige Papier abgeladen, statt ihn in dir zu filtern. Du hast deine persönlichen Probleme nicht gelöst, sondern von dir gewiesen und in kümmerliche Gestalten verpackt, in der Hoffnung, daß sie sie für dich lösen. Doch deine Problemträger haben versagt, sie mußten versagen, zerbrechen, weil du sie nicht mit der nötigen Widerstandskraft ausgestattet hast. Aber was machte es dir aus, du meintest, auf diese Weise deinen Haus- und Seelenfrieden zu sichern. Du kleiner erbärmlicher Schreiberling! Jetzt wird dir die Rechnung präsentiert. Wir haben uns zusammengetan, wir, die Schöpfungen deiner Phantasie, um von dir Sühne zu verlangen.«
    So wird es sein: Ich werde die um mich wirbelnden Nebel nicht zu fassen bekommen, die Schemen nicht identifizieren können, bis sie Gestalt annehmen und zu Menschen, Männern und Frauen und Kindern aller Altersgruppen, werden.
    Sie werden mir ein vertrauter Anblick sein. Ich kenne sie alle, die erschienen sind, um mich zur Rechenschaft zu ziehen. Denn sie sind durchwegs meine geistigen Produkte, meinem Gehirn entsprungen.
    Und auf einmal wird mich ein Sog erfassen und mich in eine der wahrscheinlichen Welten werfen …
     

 
GIB MIR MENSCHEN
     
    Martin Korner, letzter Mann auf Erden.
    Vielleicht gibt es irgendwo im Amazonasgebiet einen einzelnen Indio, der noch nichts von Prana gehört hat und der deshalb nicht mit der übrigen Menschheit verschwinden konnte. Möglich auch, daß sich an einem anderen versteckten Ort noch ein Einsiedler wie Martin aufhält. Aber das weiß er nicht. Er hat jedenfalls schon seit einer Ewigkeit keine Spur mehr gefunden, die auf die Existenz anderer Menschen hinweist, hat kein Lebenszeichen erhalten, obwohl er verzweifelt danach Ausschau hält. Er ist allein mit seiner Tochter, sonst gibt es niemand.
    Beinahe hätte er es nicht mehr geschafft. Zuerst die Wölfe im Wald, dann der Schneesturm auf dem freien Feld – und Nebel. Nebel, so dicht, daß er die Hände nicht vor den Augen sehen konnte. Er hat ein paarmal seine eigene Spur gekreuzt und ist dabei halb wahnsinnig geworden.
    Aber da ist die Hütte. Er sieht die Umrisse durch den Schneevorhang, erreicht die Tür und schiebt den Riegel auf. Jawohl, wenn er weggeht, dann verschließt er die Tür von außen, damit Sandra nicht vielleicht hinausläuft und irgendeinem wilden Tier zum Opfer fällt.
    Vor einigen Tagen hat er die Spur eines Berglöwen entdeckt. Weiß der Teufel, wie der in die Alpen gekommen ist. Mag sein, daß sein früherer Besitzer ihm die Freiheit gegeben hat, als er fortging. Prana, du weißt schon.
    Die Erde gehört wieder der Natur.
    Die Menschheit ist nicht in ihrem eigenen Dreck erstickt. Es gibt keine qualmenden Schlote mehr, keine Chemikalien in den Flüssen, keine Luftverpestung durch Autoabgase … Gäbe es die nur! Die Natur hat Zeit, sich zu regenerieren. Jahrhunderte oder Jahrtausende von Jahren, wer kann das schon sagen.
    Er stürzt in die Hütte, in der eine heillose Unordnung herrscht. Es stinkt, und es ist kalt. Sandra, am Tisch hinter einem Berg aus bekritzelten
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