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Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter

Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter

Titel: Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
Autoren: St John Greene
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auseinander waren. Reefs Krankheit hatte sich negativ auf sein Wachstum ausgewirkt. Überhaupt sah Finn kaum jünger aus als sein Bruder. »Ihr müsst meine Größe auf dem Türrahmen festhalten – Mummy war 1,55 m groß« , hatte Kate sorgfältig auf ihrer Liste festgehalten. Das war eine Aufgabe, bei der die Jungs mir helfen konnten. Das wäre etwas, was wir gemeinsam in Angriff nehmen konnten.
    Ich drehte die Wasserhähne der Badewanne auf und entdeckte dabei Kates milchiges Lieblingsschaumbad, das halb leer auf dem Wannenrand stand. »Halb voll«, korrigierte Kate mich. Das hatte ich sie so oft sagen hören. Sie war ein Mensch, für den es nur halb voll gab. Kates Glas war nie halb leer, nicht einmal als die Krankheit an ihren Kräften zehrte.
    Ich hielt diesen Gedanken fest, während ich die Jungs badete und dafür sorgte, dass sie ihre Schlafanzüge anzogen, und zwang mich, positiv zu denken. Über den Verlust von Kate würde ich nie hinwegkommen, aber ich konnte mich glücklich schätzen, diese beiden großartigen kleinen Jungs zu haben. Sie waren ein Teil von ihr und ein Teil von uns. Trotz Kates Tod gab es so viel, wofür es sich zu leben lohnte.
    »Dürfen wir heute Nacht in deinem Bett schlafen?«, fragte Reef. »Natürlich dürft ihr das«, antwortete ich. Sie stürmten in unser Schlafzimmer und warfen sich wie kleine Raketen aufs Bett. Kate hatte ein äußerst massives extragroßes Bett gekauft, als sie krank wurde. Sie hatte damit ein gemütliches Nest für die Zeit schaffen wollen, wenn sie zu schwach sein würde, um aufzustehen, sodass die Jungs jede Menge Platz hatten, mit ihr zu schmusen. Doch traurigerweise lag sie bereits im Krankenhaus und im Sterben, als das Bett geliefert wurde, und der viele Platz, den sie jetzt hatten, mutete fast lächerlich an. Sie wirkten wie ausgesetzt inmitten des wuchtigen Rahmens aus cremefarbenem Leder, umhüllt von einer weichen Daunendeckenwolke.
    »Kuschelt euch rein, Jungs«, sagte ich. »Ihr müsst zur Ruhe kommen.« Folgsam strampelten sie sich unter die Decken, wobei sie womöglich darauf hofften, gekitzelt zu werden, aber dafür war nicht der richtige Zeitpunkt. Meine ganze Kraft benötigte ich allein dafür, mich normal zu verhalten und nicht vor ihnen zusammenzubrechen. »Jetzt seid lieb und schlaft tief und fest«, sagte ich. Ich beugte mich über sie, um beiden einen Gutenachtkuss zu geben. Dabei vermischte sich der Duft von Kates Parfüm auf den Kissen mit dem Seifengeruch, den die Köpfe der Jungs verströmten. »Gib den Jungs zwei Küsse, wenn ich nicht mehr bin – einen von dir, den zweiten von mir« , sagte Kate, aber daran brauchte sie mich nicht zu erinnern. »Gute Nacht Reef«, sagte ich und küsste erst die eine Wange, dann die andere. Ein Kuss von mir, einer von Kate. Genauso machte ich es bei Finn, dann drückte ich beide noch mal fest an mich, dankbar, meinen Kopf zwischen ihnen vergraben zu können, damit sie meine Tränen nicht sahen.
    Kates Präsenz war überwältigend. Ihr Parfüm beschwor so viele Erinnerungen herauf, dass ich spürte, wie sie sich um mich, um uns alle drei wickelte, und fast rechnete ich damit, dass sie mir ein »Danke« ins Ohr flüsterte, nachdem sie sich vergewissern konnte, dass ich die Jungs so küsste, wie sie es sich gewünscht hatte.
    Leise schloss ich die Schlafzimmertür und ließ meinen Tränen freien Lauf, wobei ich mir die Hände vor den Mund hielt, damit die Jungs mich nicht hörten. Dabei fiel mein Blick durch die offene Badezimmertür. Dort lagen die Schuluniformen noch an genau derselben Stelle auf dem Boden, wo die Jungs sie abgestreift hatten. So sah jetzt mein Leben aus. Es gab keinen, der das, was ich liegen gelassen hatte, aufhob, und schon gar keinen, der wie ein Gedankenleser meine Sätze beendete, wie Kate das zu tun pflegte.
    Ich bückte mich, um die Kleider aufzuheben, erstarrte aber, als ich ein ungewohntes Geräusch hörte. Es hörte sich an, als kämen Schritte die Treppe hoch, aber das war lächerlich, denn außer uns war keiner im Haus. Mit angehaltenem Atem lauschte ich angestrengt und dachte verzweifelt nach, ob wohl noch jemand einen Schlüssel besaß oder ich einen Besucher vergessen hatte. Rufen wollte ich nicht, um den Jungs keine Angst einzujagen, aber irgendwas stimmte nicht. Niemand hatte meinen Namen gerufen, und es hatte auch nicht an der Tür geklopft. Kate war es auch nicht. Die Schritte waren viel zu schwer, als dass es die von Kate hätten sein können, oder vielmehr, als
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