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Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter

Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter

Titel: Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
Autoren: St John Greene
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dass ich mir hätte einbilden können, es seien die von Kate. Ich richtete mich auf und steuerte instinktiv das Schlafzimmer an, um die Jungs zu beschützen. Als ich den Treppenabsatz überquerte, wurden die Schritte durch einen unvermittelten Wasserschwall in den Rohren ums Badezimmer abgelöst.
    Ich war in Tränen aufgelöst. Es war nur das Knacken der Zentralheizung. Ich setzte mich auf den Badewannenrand und schluchzte so leise wie möglich. Noch nie zuvor war mir aufgefallen, wie laut das Haus ist. Solange Kate hier gewesen war, hatte ich vermutlich immer angenommen, dass sie den Lärm verursachte, aber das tat sie nicht mehr. Selbst die Badewanne quietschte unter meinem Gewicht und gab einen knirschenden »Iii-ooh« Laut von sich, während ein unterdrücktes Schluchzen meinen Körper erschütterte.
    Als mein Tränenfluss endlich versiegte, ging ich nach unten, ohne zu wissen, was ich als Nächstes tun sollte, doch auf der Suche nach Aufgaben, die mich beschäftigt hielten. Es gab weitere Nachrichten, die abgehört werden mussten, der Hund brauchte was zu fressen, und in der Spüle warteten Tassen auf den Abwasch. Der Kühlschrank war voller Essen, das Freunde und Verwandte zubereitet hatten. Keine Ahnung, was von wem war und wem das Geschirr gehörte. Das würde ich herausfinden müssen.
    Morgen war Donnerstag, zum Glück konnten die Jungs da ganz normal zur Schule gehen. Ich hielt es für das Beste, ihren Tagesablauf beizubehalten, und war froh über die Ablenkung, ihre Schultaschen umzusortieren und ihre Pausenbrote herzurichten. Doch ich konnte es kaum erwarten, dass der Tag zu Ende ging. Wenn ich erst mal schlief, müsste ich wenigstens nicht mehr weinen.
    Als ich endlich ins Bett kroch, schliefen die Jungs tief, aber sobald mein Kopf aufs Kissen fiel, zappelten sie sich beide dicht an mich heran. Ich schlief nicht gut, nickte weg und wachte häufig mit einem Fuß in meinem Ohr oder einem Kopf in meiner Achselhöhle auf. » Mummy mochte es, wenn Reef sich nachts an sie kuschelte.« »Finns Liebkosungen waren immer was ganz Besonderes .« So stand es auf Kates Liste. Es war kaum zu glauben, dass sie diese Worte erst vor wenigen Wochen geschrieben hatte, doch sie würde nie wieder mit den Jungs kuscheln.
    Es war so ungerecht. Ich sah Kate mit ihrem Tagebuch vor mir, wie sie an derselben Stelle, die ich jetzt belegte, von Kissen gestützt im Bett saß. Sie trug wie immer ein hübsches weißes Baumwollnachthemd. Kurz nach unserem Kennenlernen hatte ich sie »Timotei Girl« getauft, weil sie damals einen Rock im Zigeunerstil aus weich fließendem weißen Leinen und dazu ein ärmelloses Baumwolltop trug, genau wie das Mädchen in der Shampoowerbung. Nur dass Kates Haare natürlich viel schöner waren als die des Models, und das sagte ich ihr auch immer.
    Der Verlust ihrer Haare war für Kate ein Trauma. Sie war auf ihr blondes Haar immer stolz gewesen und weinte, als es in Büscheln aufs Kissen fiel und den Abfluss verstopfte, wenn sie duschte. Richtig beklagt hat sie sich nie, aber ich wusste, wie weh ihr ums Herz war. Sie war eine sehr schöne Frau gewesen, gerade auch wegen ihrer Haare.
    Ich erinnere mich, dass ich wegen ihres Haarverlusts wütend war. Es war schon schlimm genug, dass sie ihre Brust verlor. Warum musste sie außerdem noch ihre Haare verlieren? Es war so grausam, ihre Traurigkeit darüber war kaum zu ertragen. Für mich sah sie immer noch wahnsinnig gut aus, selbst als sie kahl wie ein Ei war. Bei einem Rugbyspiel sagte ich ihr, dass ihr Kopf die perfekte Form eines Rugbyballes habe. »Ich nehme das als Kompliment«, lachte sie. »Solltest du auch, denn du siehst hinreißend aus«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. Kate war immer umwerfend.
    Wir sahen uns gerade in Twickenham das Spiel England gegen Frankreich an, und England gewann. Kate war aus dem Häuschen, sprang auf und ab, wie sie es als Teenager getan hatte, wenn sie mich Rugby in der Lokalliga spielen sah. Es gab mir gewaltigen Auftrieb, sie inmitten ihrer Chemotherapie so ausgelassen zu erleben.
    »Wir hätten unbedingt die Jungs zum Rugbyspiel mitnehmen sollen«, meinte sie begeistert.
    »Wir nehmen sie mit, wenn Irland gegen England in Dublin spielt«, schlug ich vor.
    »Brillante Idee!«, sagte sie und klatschte in die Hände.
    Verglichen mit dem enormen Verlust von Kate war es wirklich eine Kleinigkeit, einen Kopf voller Haare zu verlieren. Von Kate war nichts mehr da, jedenfalls nichts Physisches. Sie hatte eisblaue Augen. Diese
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