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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
Autoren: Frl. Krise
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Nigel ab. Wir sind in einer Viertelstunde da», beteuerte Tarik. Im Hintergrund hörte ich Vogelgezwitscher. Wo waren die, zum Teufel? Wenigstens würden sie demnach zu zweit auftauchen. Ich schöpfte Hoffnung.
    Nur Jenny, das dumme Huhn, war nicht zu erreichen. Ihr Handy blieb stumm. Wahrscheinlich hockte sie vor einem der siebzehn Flachbildschirme in ihrer Wohnung und guckte irgendeine schnulzige Seifenoper, oder sie machte H&M unsicher. Also kletterte ich mit rotem Kopf auf die Bühne und verklickerte dem geneigten Publikum, das aus wenigen Eltern, aber ziemlich vielen lauten, ungeduldigen und irgendwie ein bisschen auf Krawall gebürsteten Schülern bestand, dass wir etwas später anfangen würden. Man johlte und pfiff und begann in der Aula herumzutoben.
    Super Anfang, schönen Dank auch, Tarik, Nigel und Jenny!
    Meine Schauspieler drehten inzwischen hinter der Bühne echt am Rad. Sie gebärdeten sich wie die Verrückten:
    «Vallah, ich hab meinen Text vergessen!»
    «Das ist mein Hut!»
    «Halt die Fresse, Hässlichkeit, das ist meiner!»
    «Frl. Krise, mir ist voll schleeecht!»
    «Abo, mit wem mache ich die Küchenszene, wenn Tarik nicht kommt?»
    «Ich hau Nigel aufs Maul, ich schwör’s!»
    Usw. usw.
    Ich hielt mir die Ohren zu, mir war auch schon ganz anders. Schließlich hat man als schulbekannte Regisseurin einen Ruf zu verlieren. Es macht nämlich keinen Spaß, wenn einem die Kollegen am nächsten Tag mitleidig den Rücken tätscheln und sagen: «Ach, du Arme, da hast du dir solche Mühe gegeben, und dann diese Pleite. Das tut mir soooo leid für dich. Ja, ja, mit unseren schwierigen Schülern geht das eben alles nicht.» Und denken tun sie: Geschieht ihr ganz recht, was macht die auch für ’ne Welle mit ihrem Theaterstück!
    Was soll ich sagen? Weder Nigel noch Tarik und schon gar nicht Jenny erschienen an jenem Abend. Wir spielten ohne sie. Wir versuchten es jedenfalls. Und es ging grandios daneben. Es ging so was von grandios daneben.
    Bis Montag muss ich jetzt wissen, ob wir am 30. spielen. Ich muss mich entscheiden. Den Flyer im Computer habe ich in Druck gegeben. Vorsichtshalber. Falls ich es mir noch anders überlege und wir doch spielen …

Vielfältige Vervielfältigung
    «Frl. Krise! Sie sind da ganz blau!»
    «Wo?»
    «Da! Im Gesicht! Neben der Nase.»
    Die Kinder kicherten. Dabei kannten sie es nicht anders. Frl. Krise war immer irgendwo blau. Meine Schultasche war innen blau und meine Kleidung außen; mein Federmäppchen, meine Ordner und Bücher waren übersät mit blauen Flecken. Ich glaube, ich war die erklärte Meisterin des Blaumachens! Ich musste nur in die Nähe einer Matrize kommen, schon war es um mich geschehen.
    Das ging sehr lange so, denn in den Siebzigern konnte man nur mit Matrizen und der sogenannten Nudelmaschine sein Arbeitsmaterial vervielfältigen. Mittels einer Flüssigkeit, es war wohl Ethanol, wurde die meist blaue Farbe der Matrizen auf das DIN-A4-Papier gebracht. Aber wehe, man spannte die Matrize falsch herum auf die Umdruckwalze! Dann vermischte sich die blaue Matrizenfarbe mit dem Ethanol und verteilte sich gleichmäßig über und in alle Geräteteile. Diese elende Schweinerei ließ sich nur mit so einer Art Putzwolle und noch mehr Ethanol beseitigen. Natürlich geschah das bevorzugt kurz vor Unterrichtsbeginn, und die verärgerten Kollegen, die hinter mir Schlange standen, ergingen sich in teils höhnischen, teils anfeuernden Bemerkungen.
    Zum Entzücken der Schüler rochen die Arbeitsblätter immer intensiv schnapsig – die Schule tat ihr Bestes, um aus jungen, aufstrebenden Menschen begeisterte Schnüffler zu machen.
    Erst Jahre später eroberten Druckmaschinen und Kopierer das Feld. Als schlichter Lehrer ohne jedes technische Hintergrundwissen durfte man diese Geräte jedoch nicht selbst bedienen. Man musste seine Vorlagen schon Tage vor dem avisierten Unterrichtstermin in einem Kellerraum abgeben und darum beten, dass sie zur gewünschten Zeit fertig waren.
    Mir war das zu spannend, deshalb fuhr ich lieber zwei- bis dreimal in der Woche nachmittags zum nächsten Copy Shop. Es handelte sich dabei um einen großen neonbeleuchteten Laden mit riesigen Fensterfronten, in dem eine extrem verbiesterte und unfreundliche Angestellte alles daransetzte, die Kunden möglichst schlecht zu bedienen.
    Am schönsten war es in dem Laden im Winter. Wenn es draußen fror und schneite, war es hier mollig warm. Eine monströse Druckmaschine ratterte ohrenbetäubend im
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