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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
Autoren: Frl. Krise
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die Türkei fahren, weil deine Oma …? Mmh, das ist ja alles ziemlich schwierig, aber ich kann dir da überhaupt nicht helfen, leider. Vor den Ferien darf ich dir keinen Tag freigeben, das darf nur unser Schulleiter oder der Schulrat. Wenn überhaupt. Da gehst du mal morgen schön zur Schulleitung mit einem Brief von deinen Eltern, und dann seht ihr mal, ob das klappt.»
    Ich weiß natürlich genau, dass das nicht erlaubt wird. Aber ich weiß auch so sicher wie das Amen in der Kirche: Merve wird dennoch fahren. Schließlich wollen ihre Eltern nicht die hohen Preise für die Flugtickets in den Sommerferien bezahlen. Oder sie scheuen die vollen Autobahnen. Oder sie machen das schon immer so, ohne je darüber nachgedacht zu haben. Merve wird also pünktlich krank werden, zum Arzt gehen, ein Attest bekommen und einige Tage früher als erlaubt in die Ferien abdüsen. Und wegen angeblich hinscheidender Omas und Opas oder heiratender Tanten und Onkel wird meine Klasse halb leer sein, wenn es Zeugnisse gibt.
    Mein Blick fällt auf Nesrin, die sich gerade neben mir auf mein Pult geschwungen hat und in mein Notenbuch schielt. Sie hat ein wenig Schwierigkeiten, sich hier oben zu halten, denn ihr Kleid ist so eng, dass sie sich kaum rühren kann. Die hat noch ganz schön Babyspeck auf den Rippen, denke ich. Und warum toupiert sie sich neuerdings so komisch die Haare?
    «Wollt ihr in den Ferien auch in die Türkei fahren, Nesrin?», frage ich.
    «Nö», sagt Nesrin und schielt weiter. Ich klappe mein Buch zu.
    «Aber letztes Jahr seid ihr früher gefahren, stimmt’s?»
    Mir fällt ein, dass Nesrin mit ihrer Familie diesen kranken Cousin besuchen musste, diesen todkranken Cousin. Der so blutjung war. Knochenkrebs hatte der, meine ich mich zu entsinnen. Oder war es Blutkrebs?
    «Wie geht es eigentlich deinem Cousin?», frage ich mitfühlend.
    «Welchem Cousin? Ich hab Tausende», kichert Nesrin. (Sprach ich schon davon, dass meine Schüler ein sehr schlechtes Gedächtnis haben?)
    «Na, dieser kranke Cousin! Der, der im Sterben lag; fünfzehn Jahre war der alt oder so, wenn ich mich recht erinnere. Wegen dem ihr letztes Jahr so früh in die Türkei musstet, weil er jeden Moment sterben konnte.»
    Nesrins Gesicht hellt sich auf. «Ach der! Der ist wieder gesund.»
    «Das ist ja super, was hatte der noch mal?» Jetzt will ich es wissen.
    Nesrin zuckt mit den Schultern.
    «Vergessen!», sagt sie fröhlich und hopst vom Pult runter.

Schöner Reinfall
    Das ganze Wochenende überlege ich schon hin und her. Sollen wir nun das Theaterstück aufführen, ja oder nein? Ich bin wirklich ratlos. Dass mir aber auch niemand sagen kann, was ich tun soll.
    Frau Freitag, meine beste Freundin und Beraterin, ist selbst seit Tagen gedanklich einzig und allein in Sachen Ausflug unterwegs. Ihre Schüler wollen unbedingt in den Heidepark, und sie kann sich nicht entscheiden, ob sie sich das antun soll. Sie ist mir also keine Hilfe. Wir jammern uns nur noch gegenseitig am Telefon vor, wie schwer wir es haben.
    Ich hab die Faxen dicke, wenn ich daran denke, wie bescheuert sich meine Schauspieler in den letzten Wochen benommen haben. Aber auf der anderen Seite wünsche ich meinen Schülern so dringend einen Erfolg, Applaus, eine halbe Stunde Aufmerksamkeit, das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Ich möchte ihre strahlenden Augen sehen, wenn sie sich verbeugen …
    Ja, Kitsch, lass nach!
    Ich brauche mich bloß an letztes Jahr zu erinnern. Strahlende Kinderaugen – von wegen!
    Wir führten ein Stück über eine deutsch-türkische Familie auf, und am Abend der großen Premiere erschienen drei Darsteller nicht zur verabredeten Zeit: Tarik, Nigel und Jenny. Die drei hatten zwar keine Hauptrollen, mussten aber in fast jeder Szene auftreten.
    Wir, die wir zur Premiere erschienen waren, regten uns natürlich mörderisch auf. Meine Schauspielerinnen, alles sensible Gemüter, wurden geradezu hysterisch, und ich schwankte zwischen einem Wutanfall und irrem Gelächter. Mittendrin reichte mir Merve ihr Handy und sagte: «Hier, Frl. Krise, ich hab Tarik erwischt!» Die Gute!
    «Tarik, spinnst du komplett? Wo bleibst du? Wir fangen in zehn Minuten an! Mach, dass du herkommt! Sonst knallt es!», fauchte ich ihn pädagogisch wertlos an. (Hätte ich ihm lieber milde zureden müssen? «Tarik? Schön, dich zu hören! Wie wär’s, hast du Lust, ausnahmsweise mal abends die Schule aufzusuchen?» Aber das hätte wohl auch nichts gebracht!)
    «Frl. Krise, ich hole gerade
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