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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
Autoren: Frl. Krise
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Moment von der Bühne ab. Hinter der Bühne redeten die Gerade-nicht-Spieler so laut, dass man die Schauspieler auf der Bühne nicht mehr verstand. Mitten in einer Szene begann man sich zu streiten, darüber, ob sich am Ende alle verbeugen sollen oder zuerst nur die Hauptdarsteller – wahrlich ein Luxusproblem.
    Da legte ich meinen Kopf auf den kleinen Tisch vor mir und machte vier Minuten gar nichts. Ich atmete nur ein und aus. Langsam.
    «Frl. Krise, is was?», fragte Tarik nach ungefähr dreieinhalb Minuten. Die anderen hatten noch gar nichts gemerkt. Ein Teil zankte sich immer noch, und die übrigen verbeugten sich unter Lachkrämpfen.
    Ich hob langsam meinen Kopf und schüttelte ihn.
    Dann wurde ich manisch. Ich zerriss wie eine Verrückte den Flyer für die Vorstellung, den ich eigentlich gleich nach der Probe zum Drucken bringen wollte, und warf die Papierschnipsel dramatisch in die Luft. Dazu schrie ich: «Die Aufführung ist gestorben. Aus und vorbei! Es hat ja keinen Sinn, wenn ihr nicht wollt! Ihr könnt gehen! Geht auf den Hof! Jetzt!»
    Alle wirkten leicht geschockt.
    «Echt jetzt?»
    «Frl. Krise?»
    «Was ist los mit Sie?»
    «Aber es hat doch noch nicht geklingelt!»
    Ja! Es war eine Viertelstunde zu früh. Aber das war mir egal. Ich konnte nicht mehr.
    Ich wollte bloß noch, dass alle gingen. Und zwar sofort. Vielleicht merkten sie dann endlich, dass es mir ernst war.
    Die Schüler trotteten leicht verwirrt aus der Aula.
    Den Vordruck für den Flyer habe ich übrigens noch im Computer – aber das fiel mir erst später wieder ein …

Golden Boys
    Meine achte Klasse ist ein Altersheim. Wenn ich schnaufend meinen Klassenraum entere, quält sich hinter mir noch Ömür die Treppe rauf. Sein Oberkörper ist abgeknickt wie ein Taschenmesser, seine Fingerspitzen berühren fast den Boden. So, und nur so, schafft er die letzten fünfzehn der siebenundachtzig Treppenstufen. Er schmeißt sich danach breitbeinig auf seinen Stuhl und keucht wie eine alte Lok.
    Dann kommen noch Fuat und Mustafa, sie nehmen’s meist sportlicher, sind aber auch ziemlich außer Puste. Immerhin haben sie noch genug Restsauerstoff, um zu lamentieren: «Mannfräulein Krise, voll ungerecht! Immer wir! Warum haben wir nicht Klassenraum im ersten Stock! Oder wenigstens Aufzug!»
    Diese armen alten Menschen …
    Und ihr Gedächtnis! Das lässt zu wünschen übrig, und nicht zu knapp! Egal was auch immer wir besprechen, es flutscht durch die Gehirnwindungen und wird wahrscheinlich von Fresszellen absorbiert.
    «Wer hat denn heute zufällig an den Zettel für den Wandertag gedacht?», frage ich betont niederschwellig. Es handelt sich um eine simple Einverständniserklärung der Eltern, die unterschrieben zurückgegeben werden sollte.
    «Hä, was für ’n Zettel?» (Jenny, extrem vergesslich)
    «Frl. Krise, ich hab Zettel nicht bekommen.» (Erkan, voll verpeilt wie immer)
    «Natürlich, alle haben den Zettel bekommen, Erkan, du auch. Gestern.» (Ich, milde)
    «Zettel? Niemals! Wie sah der aus?» (Hanna, Hauptsache widersprechen)
    «Weiß! Wer hat ihn denn nun dabei? Den Wandertagszettel!» (Ich, leicht gereizt!)
    «Machen wir Wandertag? Geilomat!» (Fuat, der gestern noch auf keinen Fall mitgehen wollte! «Will nicht wandern! Mach nich so, Frl. Krise!»)
    «Was’n für ’n Zettel?» (Jenny nun wieder)
    Und so können wir uns stundenlang beschäftigen … Grenzt das schon an Ergotherapie?
    Vielleicht bin ich auch zu streng. Vielleicht tue ich ihnen unrecht. Vielleicht liegt es daran, dass sie aufgrund ihres Alters alle so schlecht hören. Wenn ich am Ende der Stunde flöte: «Das Arbeitsblatt fertig machen. Für morgen!», prallt der Schall dieser Worte an den in den allermeisten Fällen vermutlich stark vernarbten Trommelfellen ab und kann nicht bis ins Innenohr vordringen.
    Das mit den Trommelfellen wiederum liegt wahrscheinlich an den häufigen, meist schwer verlaufenden und langwierigen Infekten von Hals, Nase, Ohren. Bei alten Menschen ist es ja bekanntlicherweise mit der Immunabwehr nicht mehr so doll, deshalb erreichen meine Schüler Traumwerte, was die Anzahl der Krankheitstage angeht. Zwanzig Tage für kleine Malaisen wie Muskelkater, Augenschmerzen, Läuse, Beinbrennen, Fieber am Morgen, Mückenstiche oder Sonnenbrand zweiten Grades kommen leicht zusammen. Von den Klassikern Bauchschmerzen, Kreislauf, Kopfschmerzen und Mir-ist-Schlecht will ich gar nicht reden. Vielleicht hat die Schwerhörigkeit aber auch nur mit dem
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