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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
Autoren: Frl. Krise
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damals rauchten noch fast alle Kollegen, und zwar im Lehrerzimmer – und sagte Sätze wie: «Frl. Krise, am Anfang die Zügel anziehen! Locker lassen können Sie sie immer noch!» Das leuchtete mir irgendwie ein, obwohl … Durfte man Kinder mit Pferden vergleichen? Erziehung mit Dressur? War das nicht diese verpönte Schwarze Pädagogik, die hauptsächlich mit Repressalien arbeitete? Was sollte das überhaupt heißen: Zügel anziehen? Welche Zügel? Und vor allem: wie?
    Bei Frau Horn, einer resoluten älteren Lehrerin, traute sich jedenfalls kein Schüler, im Hochparterre aus dem Fenster zu klettern oder sie mit Gummiband und Büroklammern zu beschießen. Ich hätte zu gern gewusst, wie sie das machte …
    Vielleicht, so dachte ich, hat sie diese natürliche Autorität, von der man in der Fachliteratur gelegentlich las. Vielleicht war ich für diesen Beruf einfach nicht geeignet und hätte lieber Bibliothekarin oder Restauratorin werden sollen. Bücher und Bilder … ach, schon nach wenigen Wochen sehnte ich mich nach Objekten, die nicht widersprachen.
    Die wöchentlichen Sitzungen im Studienseminar, die uns Anfängern das schulpraktische Rüstzeug vermitteln sollten, erleuchteten mich auch nicht. Unsere Ausbilder pochten darauf, dass es in der Klasse absolut ruhig sein sollte, bevor man anfing zu sprechen (da konnte ich gleich zu Hause bleiben). Sie waren der Ansicht, dass Schüler im Unterricht nicht herumlaufen sollten (wo blieb das Bedürfnis des Kindes nach Bewegung?), und sie legten großen Wert darauf, dass gearbeitet werden sollte (das machte doch keiner bei mir!).
    Die anderen Referendare waren im Großen und Ganzen ebenso mit den Nerven zu Fuß und klagten über die ungezogenen Kinder und viele fachliche Schwierigkeiten. Aber niemand arbeitete wie ich in zwölf Klassen. Das fiel nach zwei Monaten endlich auch meinen Ausbildern auf. Inzwischen weinte ich mich abends in den Schlaf und züchtete eine Schulphobie heran.
    Nach einem Gespräch mit der Schulleitung kam die große Wende. Eine meiner Kolleginnen mit Burnout-Syndrom (den Begriff kannten wir damals noch nicht – ihre Krankheit hieß «Siekannsichnichtdurchsetzen») war frühpensioniert worden. Ich könnte doch ihre Klasse übernehmen, hieß es auf einmal. Eine reizende sechste Klasse! Diese Idee entwickelte mein Schulleiter. «Dann können Sie endlich mal Biologie unterrichten, zwei Stunden», lockte er mich. «Allerdings, Frl. Krise, trauen Sie sich zu, Deutsch zu geben?»
    Ich nickte heftig. Deutsch! Das konnte doch jeder.
    Ich hätte auch Hindi und Atomphysik unterrichtet, sogar gleichzeitig, nur um die vielen Klassen loszuwerden. Ich konnte die dreihundert Kinder, mit denen ich zu tun hatte, immer noch nicht unterscheiden, geschweige denn mir ihre Namen merken.
    Zwei Stunden Bio, zwei Kunst, drei Deutsch in der neuen Klasse – das sind sieben Stunden, rechnete ich. Blieben nur zwei, höchstens drei andere Lerngruppen übrig.
    Ich war gerettet.

So tickt Schule
    Gleich wird es zur ersten Stunde klingeln. Nesrin aus meiner Klasse steht vor dem Lehrerzimmer und wartet auf mich.
    «Frl. Krise, ich hab die abgeholt von Sekretariat, wie versprochen. Die neue Schülerin für unsere Klasse.» Nesrin ist ganz aufgeregt und zeigt auf das Mädchen, das neben ihr steht.
    Die Neue! Gestern hatte mir Herr Fischer, unser Schulleiter, angekündigt, dass wir Zuwachs bekommen.
    «Necla heißt sie! Spricht tipptopp Deutsch! Wäre allerdings jetzt sitzengeblieben im Gymnasium. Ist aus Bonn. Umzug.» Mein Chef liebt es, so abgehackt zu sprechen. Ich glaube, er ist der Meinung, das klingt besonders wichtig.
    «Herzlich willkommen! Ich bin Frl. Krise, deine Klassenlehrerin», sage ich und denke: Sie könnte fast Nesrins Schwester sein – lange schwarze Haare, große braune Augen, hautenge Klamotten und ein bisschen viel Make-up. Sie passt gut zu den Schülerinnen unserer achten Klasse.
    «Du heißt Necla, stimmt’s?»
    Die Neue nickt verlegen.
    Ich zeige auf die Treppe. «Na, dann lasst uns mal gleich raufgehen, bevor die anderen alle erscheinen. Unsere Klasse liegt leider ganz oben, im vierten Stock.»
    «Frl. Krise, Necla ist voll Professor!» Nesrin hat sich schon bestens informiert. «Sie kommt von Gymnasiumsschule!»
    «Oha, Gymmi!» Aynur, Nesrins Freundin, drängelt sich plötzlich von hinten zwischen uns. «Bist du neu? Bist du in unsere Klasse? Da bist du in mein Englischkurs!»
    «Kurs?» Necla wirkt ein bisschen überfordert.
    «Wir sind doch
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