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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
Autoren: Frl. Krise
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in die deutsche Sprache, in die fremde Gesellschaft. Kinder lernen ja so schnell! Und wer weiß, ob sie in Deutschland bleiben würden! Nur nicht zu viel investieren.
    Ich erinnere mich an Yussuf und Hasan aus der Türkei. Sie sprachen kein Wort Deutsch und waren in Wirklichkeit mindestens zwei, wahrscheinlich sogar drei oder vier Jahre älter als meine Schüler der achten Klasse. Solche Kinder hatten oft am ersten Januar Geburtstag, ein Hinweis darauf, dass man ihnen ein neues Geburtsdatum verpasst hatte – eine damals in der Türkei nicht unübliche Praxis. Vermutlich hatten ihre Eltern sie deutlich jünger gemacht, um ihre Einreise nach Deutschland zu ermöglichen, denn Kinder über achtzehn konnten nicht ohne weiteres nachgeholt werden. An einem Seitentisch platziert, betrachteten sie voll Verwunderung das in ihren Augen wohl ziemlich kindische Geschehen um sie herum, schrieben brav in ungelenker Schrift ihre Arbeitsblätter voll und unterhielten sich flüsternd in ihrer Muttersprache. Zum Glück waren beide außerordentlich nette, wohlerzogene junge Männer. Nach einem Jahr verließen sie die Schule. Warum? Weshalb? Ich weiß es nicht mehr. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, sie sprachen immer noch kein Deutsch – was sollte aus ihnen werden?
    Vor fünfzehn Jahren habe ich Hasan zufällig wiedergesehen. Er klingelte an meiner Haustür und hielt mir die bestellten Pizzen entgegen. Wir erkannten uns sofort, er zerquetschte mir fast die Hand und freute sich. «Leben sehr schwer», antwortete er auf die Frage, wie es ihm gehe. Er habe nichts gelernt, sei Aushilfe im Geschäft eines Verwandten. Dabei müsse er eine Frau und zwei Kinder ernähren. «Kinder gehen Schule», sagte er, «sprechen gut Deutsch, besser als Baba!»
    Ich entschuldigte mich bei ihm, ich hätte ihm so wenig beigebracht in dem einen Jahr, aber er winkte ab. «Schule bei dir war schöne Zeit. Sonst immer nur arbeiten!»
    Ich schämte mich trotzdem.

Schönes Theater
    Ich war heute so was von am Ende mit meinem pädagogischen Latein! Seit über einem halben Jahr proben wir im Wahlpflichtkurs Darstellendes Spiel an einem kleinen, unter Schmerzen selbst entwickelten Theaterstück über eine unglückliche Teenagerliebe. Wir hatten das Stück genau auf unser «Ensemble» abgestimmt, das sind dreizehn Schüler aus vier Klassen. Dreizehn! Das hätte mich gleich misstrauisch machen müssen, aber ich bin noch nicht so abergläubisch, wie man es als echter Theatermensch zu sein hat. Ich bin ja auch bloß «angelernt» und leite den Kurs aus «Neigung» – wie unser Chef zu sagen pflegt.
    Anfangs konnten wir alle Rollen sehr kommod besetzen, ja, wir hatten sogar eine Souffleuse und einen Ersatzspieler.
    Dann zog der erste Schauspieler aus der Stadt weg – da waren’s nur noch zwölf.
    Dann ging der zweite an eine andere Schule, da waren’s nur noch elf.
    Dann verliebte sich Tina real in einen kleinkriminellen Jugendlichen aus ihrer Nachbarschaft und kam in der Folge nur sporadisch in die Schule. Schließlich schwänzte sie ganz. Da waren’s nur noch zehn.
    Dann fiel Nigel aus, er zog mit seinen Eltern in irgendein fremdes Land, ich glaube, England, da waren’s nur noch – richtig! – neun.
    Ich strich zwei relativ große Rollen, mir tat es weh und dem Stück nicht gut.
    Meine Kollegen beneideten mich um meine schrumpfende Gruppe, und ich hätte mich sicher auch gefreut, wenn es sich um einen Kunst- oder Deutschkurs gehandelt hätte. Aber wir wollten Theater spielen, und die Sache wurde langsam kritisch. Wir konnten schließlich nicht auf beliebig viele Rollen verzichten, ohne unser Stück restlos zu ruinieren. Immerhin: Tina tauchte plötzlich wieder auf, wenn auch nur selten. War sie zufällig anwesend, forderte sie vehement ihre alte Rolle zurück. Aber kaum hatten wir das Stück entsprechend umgekrempelt, verschwand Madame wieder wochenlang von der Bildfläche.
    Langsam verzweifelte ich.

    Heute waren genau sechs Schüler zur Probe da (zehn Spieler brauchen wir mindestens), vier kamen verspätet. Am 30. haben wir Aufführung. Alle kauten Kaugummi (streng verboten). Auf der Bühne herrschte ein heilloses Chaos. Niemand baute richtig auf und ab. Am 30. haben wir Aufführung. Tina, die uns mal wieder beehrte, zankte sich mit Tarik, die «Hurensöhne» flogen uns nur so um die Ohren. Ich rief schließlich ihren Vater an und ließ sie abholen. Am 30. haben wir Aufführung. Hülya konnte ihren Text nicht, und Samet ging konsequent im falschen
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