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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
Autoren: Frl. Krise
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bist du?»
    Die Antwort kommt prompt: «Gerd Meyer! Frl. Krise, erinnern Sie sich an mich? Gesamtschule-Süd!»
    Natürlich! Ich springe auf. Gibt es denn so etwas? Gerd Meyer! Ein Schüler aus der ersten Klasse, die ich nach dem Referendariat als Klassenlehrerin übernahm. Ich erinnere mich ganz gut an ihn – er war ein hübscher blond gelockter Junge und eine Nervensäge dazu. Auf den beiden Fotos, die ich von dieser Klasse habe, steht er immer mit etwas mürrischem Gesicht in der letzten Reihe – einmal im siebten Schuljahr und einmal in der Neunten.
    Heute trägt Gerd laut Profilbild eine Brille, er hat statt Locken eine Fast-Glatze, und er lächelt freundlich. Ich kann nachlesen, dass er einen ordentlichen Beruf erlernt hat, Papa ist und immer noch in der Nähe der Gesamtschule-Süd wohnt.
    Am Abend chatten wir.
    «Ich würde Sie gerne mal treffen, Frl. Krise», schreibt Gerd, «und zwar um mich bei Ihnen zu entschuldigen.»
    Entschuldigen? Wofür? Ich weiß nicht, wovon er spricht. Er klärt mich auf, dass er mich im achten Schuljahr zum Weinen gebracht hätte, und das täte ihm heute noch leid.
    Das ist mir ein bisschen peinlich, gleichzeitig bin ich gerührt. Ich habe diese Situation offensichtlich erfolgreich verdrängt, aber er hat sie nicht vergessen …
    Wir unterhalten uns ein Weilchen. Ich duze Gerd, und er siezt mich. Sehr merkwürdig. Ich biete ihm das Du an, und er willigt ein.
    «Fühlt sich komisch an», schreibt er.
    Das ist bestimmt seltsam für ihn – chatten mit seiner alten Lehrerin!
    Und ich fühle mich auch etwas sonderbar. Ist das denn möglich, dass ich einen heute fast fünfzigjährigen Mann unterrichtet habe?
    Am nächsten Tag finde ich auf meiner Pinnwand Neues von Gerd. Er hat sich offensichtlich intensiv auf meiner Seite getummelt und genau die Mitteilungen meiner Schüler studiert.
    Doch dabei blieb es nicht, meine jetzigen Schüler sind wachsam …
    Gerd: «Oje, Frl. Krise, die Schreibe deiner Schüler ist aber nicht gerade besser als unsere damals! Besonders der Hassan. Aber der hat ja noch die Chance, seiner Rechtschreibung im nächsten Jahr den letzten Schliff zu verleihen :-D» (Samstag, 22.38 Uhr)
    Hassan hat ihm sofort geantwortet: «Im Chat bei face und in der Schule sin 2 ganz verschiedene welten glauben sie mir! Sie können mich nicht durch diesem Chat beurteilen ist besser für Sie glauben sie mir ;)» (Samstag, 22.40 Uhr)
    Gerd: «Wem erzählst du das? Ich habe auch so meinen Kampf. Habe es aber dank Frl. Krise einigermassen im Griff. Sie hat mich früher nämlich auch zum Schulabschluss gepeitscht.» (Samstag, 22.44 Uhr)
    Hassan: «Ist auch richtig so, da brauchen sie sich nicht um meine rechtschreibung zu kümmern. Und das macht man auch nicht hinter jemanden zu Lästern.» (Samstag, 22.45 Uhr)
    Gerd: «Ich meinte das wirklich positiv, mein Freund. Du kannst dich freuen, so eine Lehrerin zu haben.» (Samstag, 23.09 Uhr)
    Hassan: «Jo versteh schon kein problem sie is ganz ok.» (Samstag, 23.10 Uhr)
    Gerd: «So jetzt werde ich Boxen gucken …» (Samstag, 23.11 Uhr)
    Hassan: «Bald lade ich dich herzlich zu einem Kmapf von mir ein;) ich boxe auch.» (Samstag, 23.12 Uhr)
    Ha! Da unterhalten sich meine Schüler von früher und heute miteinander! Der fast Fünfzigjährige mit dem Siebzehnjährigen – und was passiert? Sie geraten sofort aneinander. Jungs eben!
    Hauptsache, sie hauen sich nicht. Das ist das Angenehme bei Facebook: Sie sind Hunderte Kilometer voneinander getrennt, da kann nicht viel passieren. Ich kann mich entspannt zurücklehnen, an die guten alten Zeiten denken und sie mit der schönen neuen Welt von heute vergleichen. Gerd aus meiner ersten Klasse und Hassan aus der letzten. Der Kreis schließt sich …
    Aber nein, das ist viel zu pathetisch!
    Meine Klasse und ich – wir haben ja noch ein ganzes Schuljahr vor uns!

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    Glossar (Türkisch/Deutsch)

abo
Oha! Ausdruck des Erstaunens
alman
Deutscher
ane
Mutter
baba
Vater, Papa
çü (sprich: Tschüüüsch)
ein Befehl für Esel/Pferde: Halt, Brrr. Ausdruck des Erstaunens
evet
ja
hayir
nein
haram
religiöses Verbot
öp
Küsse
müze
Museum
vallah
bei Gott (Schwurformel)
Ramadan
Fastenzeit
Zuckerfest
Fest des Fastenbrechens am Ende der Fastenzeit

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    Danke
    Männe, meine Töchter und meine Freunde – ihr habt seit Jahrzehnten mit Engelsgeduld meine täglichen Schulbulletins ertragen.
    Freut euch, jetzt dürft ihr sie auch noch lesen!
    Daran bist
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