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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
Autoren: Frl. Krise
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und ihre zahlreichen Halbgeschwister kennengelernt – und war sehr enttäuscht von ihnen. Auch darüber, dass ihr leiblicher Vater nicht aus der Karibik kam, sondern ein Türke war. Nicht einmal die exotische Herkunft blieb ihr.
    Klaus tauchte nie wieder auf. Ich glaube inzwischen, dass er tot ist. Seine Spur verliert sich in Berlin, da hat er zuletzt gewohnt. Michelle hofft immer noch. Seit über zehn Jahren.
    Mit ihr, die inzwischen weit entfernt von mir lebt, telefoniere ich ab und zu. Sie ist jetzt Ende dreißig und spricht nicht mehr davon, dass sie von mir adoptiert werden möchte. Nur noch davon, dass es außer mir niemanden gibt, der sie seit ihrer Kindheit kennt.
    Lieblingskinder.

Hüh und hott!
    Am letzten Tag des Projekts mit Herrn Hänlein ahne ich morgens noch nicht, dass ich im Laufe des Tages sehr stolz und sehr wütend auf meine Klasse sein werde – und zwar leider genau in dieser Reihenfolge.
    Zunächst soll es zwei Stunden lang darum gehen, was man aus Mimik und Gestik eines Menschen herauslesen kann. Das ist schließlich wichtig für Bewerbungsgespräche. Zwei junge Frauen, Debo und Lea, von Beruf Schauspielerinnen, leiten diesen Projektblock.
    In der ersten Pause hechte ich vor meinen Schülern in die Aula. Ich bin ein bisschen besorgt und will kurz mit den beiden sprechen, damit sie sich auf ein eventuelles kleines Chaos einrichten können.
    «Meine Klasse muss jeden Moment kommen», sage ich atemlos. «Die freuen sich schon mächtig, aber die sind nicht ganz einfach, wollte ich nur mal sagen.»
    Die Miminnen sehen sich an und seufzen tief. «Die Gruppe, die wir gestern hatten, war ganz schlimm. Ihre Parallelklasse! Wir konnten gar nicht alles machen, was wir vorhatten», sagt Debo. Und Lea fügt düster hinzu: «Die haben sich nicht auf die Aufgaben eingelassen. Vielleicht müssen wir das Programm auch komplett ändern.»
    Zu spät!
    In diesem Moment stürmen meine Lieben herein. Relativ pünktlich und relativ vollständig. Immerhin. Sie beäugen die beiden Damen, und noch ehe die erste blöde Frage à la «Haben Sie einen Freund?» gestellt werden kann, beginnt der Kurs. Super! Gar nicht erst zur Besinnung kommen lassen!
    Es geht zunächst ums Begrüßen. Wir stehen im Kreis und probieren verschiedene Arten der Begrüßung aus, die dann alle mit ihren Nachbarn nachmachen müssen.
    Wo ist das Problem?
    Händeschütteln, Verbeugen, Abklatschen, locker Umarmen – eine unserer leichtesten Übungen! Doch dann kommt Küsschen rechtslinksrechts. Und Gamze steht neben Herrn Hänlein. Huh!
    «Niemals!», schreit sie auf und flüchtet sich neben mich.
    Jetzt trifft es Necla. Der leicht verlegen dreinschauende Herr Hänlein weißt nicht recht, was er machen soll, aber er lässt sich tapfer drei schallende Luftküsse von der hysterisch kreischenden Necla geben. Alle liegen am Boden! Vallah, voll Jäckpott, diese Übungen!
    Die Atmosphäre ist gelöst, und in rasantem Tempo sind auch schon zwei Stunden rum. Ich bin freiwillig hierher mitgegangen Schließlich bin ich Lehrerin für Darstellendes Spiel, und die Klasse, die ich eigentlich jetzt in Deutsch hätte, ist müze gegangen. Von den beiden Schauspielerinnen bin ich wirklich begeistert, und die sind von meiner Klasse begeistert.
    «Ganz großes Kino», sagt Lea. «Ihr habt alle mitgemacht. Und so engagiert! Großartig!»
    «Paar von uns sind ja auch Darstellendes Spiel», sagt Gamze und zeigt auf mich. «Und wir machen auch immer so Sachen in Deutsch.»
    «Das merkt man.»
    Beschwingt gehen wir zurück in den Klassenraum. Innerlich trällere ich ein Liedchen, mein Unterricht trägt Früchte. Sie sind klein und ein bisschen sauer vielleicht noch, aber immerhin!
    Ich hätte jetzt eine Stunde Aufsicht, aber ich tausche fix mit dem Kollegen, der in meine Klasse soll. Ich will dranbleiben, ich will sie sehen, die herrlichen Bewerbungsgespräche!
    Aber man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben …
    Leider finden alle, dass jetzt Bewerbungsgespräche einüben öd und blöd ist. Keine richtige Mittagspause, aboooo, was soll das?
    «Ich denke, ihr wollt heute ein bisschen früher Schluss machen?», frage ich. So hatte es Herr Hänlein gestern mit ihnen ausgemacht.
    Motzend geht’s rauf in den vierten Stock.
    Ich ärgere mich. Diese undankbare Brut! Für wen machen wir das denn? Doch nicht für uns oder die Leiterin des Projekts, die jetzt aufschlägt und mit den Bewerbungsgesprächen beginnt.
    Sie macht das total professionell. Aber die Luft ist raus.
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