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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
Autoren: Frl. Krise
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euch geküsst?», fragte Nesrin.
    Emre guckte verlegen und grinste.
    Alles klar.
    «Küssen ist aber nur gesund, wenn es länger als eine Minute dauert», steuerte Ömür bei, der bestimmt noch nie ein Mädchen geküsst hat.
    «Hä?» Das ist mir neu.
    «Wenn sich Lippen berühren, tauscht man so Vitamine aus», erklärte Gülten.
    «So ’n Quatsch», kommentierte ich herzlos. «Höchstens Bakterien!»

    Die Eisdiele hat noch geschlossen.
    «Ich öffne gleich», versichert uns der Eisverkäufer, der sich am Rollo zu schaffen macht. «In fünf Minuten.»
    «Gut, wir gehen schnell Zahnarzt», beschließt Gülten und erreicht damit, dass wir alle sofort stehen bleiben.
    Zahnarzt?
    «Nur um die Ecke», sagt Gülten. «Bitte, ich muss da nach der Schule hin, ich will gucken, wo das ist.»
    Gutmütig trudeln wir um die Ecke, finden den Zahnarzt – und leider auch eine Bäckerei. Ömür stürzt gleich rein und kommt mit einer dicken Streuselschnecke wieder raus.
    Ich bin empört.
    «Nee, Ömür, du kriegst kein Eis von mir», sage ich. «Wenn du jetzt diese fette Schnecke isst, dann …»
    «Ich will auch gar keins», antwortet Ömür kauend.
    «Wir kaufen uns sowieso nach der Schule immer Eis, wa, Ömür?» Emre klärt mich auf. «So ’n Sechserpack, für jeden drei!»
    «Vallah! In Türkei werd ich ja dann dünner», mümmelt Ömür.
    «In der Türkei! Ausgerechnet da! Bei Oma!», entrüste ich mich.
    «Ja, da fahre ich immer abends Brot holen, mit mein Onkel!»
    «Fahre? Womit?»
    «Fahrrad.»
    «Wie weit?»
    «So fünfhundert Meter!?»
    Tut mir leid, ich muss lachen.
    «Darf ich dich mal an dieses Foto erinnern, auf Facebook, aufgenommen letztes Jahr in der Türkei», sage ich. «Du mit vierzehn Burgern!»
    «Sieben ich, sieben mein Kuseng!» Ömür schluckt ungerührt den Rest seiner Schnecke runter.
    «Meinst du echt, mit fünfhundert Meter Radfahren kriegst du das alles wieder runter?»
    Ömür guckt mich leicht verunsichert an. «Zweimal fünfhundert», sagt er leise. «Hin und zurück!»
    «Nach den Ferien, Freund!», drohe ich entschlossen. Im Stillen denke ich: Ich muss mir die Mutter bestellen, die AOK alarmieren, ihn zum Arzt schleppen, ihm ein Essens-Abo in der Schule bezahlen. So kann das ja nicht weitergehen!
    Auf dem Rückweg von der Eisdiele klaubt mir Gülten etwas aus den Haaren.
    «Eine Blume», sagt sie.
    «Oh! Was denn für eine?», frage ich.
    «Ach, bloß so eine olle Pissnelke.»
    Ich seufze tief und beschließe in Zukunft, auch wenn es der letzte Schultag ist, keine Bio-Stunde mehr ausfallen zu lassen.

Scheiden tut weh
    «Feier bloß nicht in deinem Garten», warnte mich mein Kollege Ulf. «Unserer musste hinterher neu angelegt werden.»
    Aber ich war beratungsresistent. Meine Klasse wurde entlassen, die erste Hauptschulklasse, die ich als Klassenlehrerin hatte. Warum nicht bei mir feiern? Das kostete nichts, unser Garten war völlig unempfindlich, wir wollten nur ein kleines Lagerfeuer machen, grillen, ein bisschen tanzen – was sollte da groß passieren? Ich war zwar schon ein paar Jahre im Schuldienst, glaubte aber noch immer an das Gute im Menschen. Außerdem hatte ich eine sehr kleine Klasse, nur vierzehn Schüler – das würde also keine Massenveranstaltung werden. Gut, sie waren in den vergangenen Jahren fast nicht beschulbar, aber gegen Ende verhielten sie sich einigermaßen vernünftig und erwachsen und hatten außerdem hoch und heilig versprochen, sich ordentlich zu benehmen.
    Ich stiftete einen Kasten Bier und bereitete einen Nudelsalat zu. Die anderen wollten auch etwas zum Essen mitbringen, besonders die drei türkischstämmigen Mädchen. Auf der Terrasse war eine kleine Bar aufgebaut, hinten im Garten lag Holz für das Feuer bereit.
    Aber das Wetter! Mittags war es noch sonnig und warm, aber gegen Abend verdunkelten immer mehr Wolken den Himmel, und der Wind frischte auf. Kaum hatten wir uns alle im Garten versammelt, als es anfing, zu stürmen und zu regnen. Ein Gewitter! Flucht ins Haus! Genau das, wovor ich mich den ganzen Tag gefürchtet hatte. Jetzt war es zu spät. Die Party nahm ihren verhängnisvollen Lauf.
    Obwohl nur wenig Bier getrunken wurde, zeigten sich merkwürdigerweise schnell erste Symptome unmäßigen Alkoholgenusses. Der kleine Stefan, an sich das liebste Kind der Klasse, erschien plötzlich volltrunken. Er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten, artikulierte schwer und kippte mit einem Schlag im Wohnzimmer um. Mit viel kaltem Wasser belebten wir
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