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Gezeitengrab (German Edition)

Gezeitengrab (German Edition)

Titel: Gezeitengrab (German Edition)
Autoren: Elly Griffiths
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Schild, taktloserweise die Darstellung eines Mannes, der von einem Felsen stürzt, quietscht im auffrischenden Wind. Durchs Fenster sehen sie Ted, der ein Pintglas zum Mund führt. In dem gelblichen Licht, das durch das Fenster nach draußen fällt, hält Trace etwas hoch, das entfernt an Isoliermaterial erinnert: ein kleines Knäuel aus weichen gelblichen Fasern.
    «Was ist das?», fragt Judy.
    «Watte?», vermutet Clough.
    «Stinkt ein bisschen», meint Steve. Und tatsächlich geht von dem Knäuel ein starker Schwefelgeruch aus.
    «Großartig.» Clough reibt sich die Hände. «Der Boss wird begeistert sein.»
    «Wo steckt Nelson überhaupt?», fragt Trace.
    «Im Urlaub», sagt Clough. «Am Montag ist er wieder da. Wahrscheinlich zählt er schon die Tage.»
    Judy muss lachen. Nelsons Abneigung gegen Urlaub ist auf dem Revier legendär.

[zur Inhaltsübersicht]
    2
    Detective Chief Inspector Harry Nelson sitzt mit einem Glas Bier in der Hand am Pool und hängt düsteren Gedanken nach. Es ist Abend, und die Lichterketten in den Bäumen glitzern auf der stillen Wasseroberfläche. Nelsons Frau Michelle sitzt neben ihm, führt aber gerade mit der Frau am Nebentisch ein angeregtes Gespräch über Strähnchen und wendet ihm daher den Rücken zu. Michelle ist Friseuse, es handelt sich also um ihr Fachgebiet, und Nelson weiß nur zu gut, dass ihr Monolog so schnell kein Ende finden wird. Sein eigenes Fachgebiet – Mord – eignet sich da sehr viel weniger für einen guten Gesprächseinstieg.
    Als Nelson Michelle erzählt hat, dass er noch eine Woche Urlaub übrig hat, schlug sie vor, irgendwo hinzufahren, «nur wir zwei». Zu dem Zeitpunkt fand er die Idee eigentlich gar nicht schlecht. Laura, ihre ältere Tochter, ist im September ausgezogen, weil sie jetzt studiert, und die siebzehnjährige Rebecca würde kaum eine ganze Woche nur mit ihren Eltern verbringen wollen. «Außerdem», meinte Michelle, «will sie sicher nicht so viel Unterricht versäumen.»
    Das hat Nelson nur ein zweifelndes Brummen entlockt. Seiner Ansicht nach ist Rebecca sowieso so gut wie nie in der Schule; ihr Abschlussjahrgangsleben scheint fast vollständig aus rätselhaften «Freistunden» und noch viel rätselhafteren «Exkursionen» zu bestehen. Auch ihre Hauptfächer sind für ihn Bücher mit sieben Siegeln. Psychologie, Medienkunde und Umweltwissenschaft. Psychologie? Davon hat er bei der Arbeit schon mehr als genug. Sein Chef, Gerry Whitcliffe, tanzt regelmäßig mit irgendeinem spillerigen Psychologen an, der dann ein «Täterprofil» erstellen soll. Am Ende kommt dabei jedes Mal heraus, dass sie nach einem Einzelgänger mit Minderwertigkeitskomplex suchen, der anderen Leuten gerne weh tut. Na, vielen Dank auch, das hätte Nelson gerade noch selbst herausgefunden, auch wenn er keine anderen Qualifikationen hat als ein langes Berufsleben bei der Polizei und einen Schulabschluss mit Hauptfach Werken. Medienkunde ist anscheinend nur eine andere Bezeichnung für Fernsehen, und was zum Geier soll denn bitte Umweltwissenschaft sein? Michelle behauptet zu wissen, dass es dabei um den Klimawandel geht, aber ihn führt sie nicht hinters Licht. Sie sind beide mit sechzehn von der Schule abgegangen: Was höhere Schulbildung angeht, leben ihre Kinder in einer ganz anderen Welt.
    Nelson wäre gern nach Schottland gefahren, vielleicht auch nach Norwegen, aber er musste seine Urlaubswoche bis Ende März nehmen, und Michelle wollte in die Sonne. Und die einzige Sonne, die sich im März finden lässt, wenn man nicht ewig weit fahren will, ist offenbar auf den Kanaren, daher hat Michelle eine Woche Vollpension in einem Vier-Sterne-Hotel auf Lanzarote gebucht.
    Das Hotel ist tatsächlich ganz schön, und die Insel besitzt einen ganz eigenen, aschegrauen Reiz, doch für Nelson war es eine Woche in der Vorhölle. Gleich am ersten Abend kam Michelle mit einem anderen Paar ins Gespräch, Lisa und Ken aus Farnborough. Nach zehn Minuten hatte Nelson alles gehört, was er je über Kens Stelle als IT-Berater und Lisas Leben als Kosmetikerin hätte wissen wollen. Er wusste, dass sie zwei Kinder im Teenageralter hatten, die gerade bei Lisas Eltern, Stan und Evelyn, waren, dass sie lieber Chinesisch als Indisch aßen und George Michael für den größten lebenden Entertainer hielten. Er wusste, dass Lisa gegen Avocados allergisch war und Ken am Reizdarmsyndrom litt. Er wusste, dass Lisa immer mittwochs zum Salsa ging und Ken ein Golfhandicap von 13 hatte.
    «Und wie viele
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