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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman
Autoren: Heinrich Steinfest
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Stadt –, niemals versuchten, dieses Geld schuldig zu bleiben. Und das
mußte als ein echtes Wunder gelten. Denn so hart die Methoden offizieller wie
inoffizieller Schuldeneintreibung auch sein mochten, viele Schuldner ließen
sich immer wieder auf gefährliche Spielchen ein, versuchten, die Gläubiger
auszutricksen, anzuwinseln, weichzuheulen, riskierten schon mal körperliche
Zugriffe… Hingegen kam niemand auf
die Idee, Claire Montbard austricksen oder anheulen zu wollen. Sie war auf eine
namenlose Weise gefürchtet.
    Ein vernünftiger Mensch wird jetzt sagen: Na, da gehe ich aber
lieber zu einer Bank. Und das tun ja vernünftige Menschen in der Regel auch.
Interessanterweise bringen sich einige von ihnen später um. Andere werden
verrückt und bringen zwar nicht sich selbst um, dafür aber ihre Familie. Die
Mehrheit allerdings kommt ohne Mord aus, versinkt bloß in einem Strudel von
Problemen. Und dann gibt es nicht zuletzt die, welche die Rückzahlung ihres
Bankkredits vollkommen unversehrt überstehen. Die gibt es immer, wir kennen sie…also,
wir kennen meistens einen oder einen vom Hörensagen – so wie wir ja auch einen
kennen, dessen Kinder vom ersten Tag an durchgeschlafen haben, oder so wie man
früher einen kannte, der einen Juden versteckt hatte, sodaß sich die Frage
stellte, wo eigentlich alle diese versteckten Juden hingekommen sind.
    Ja, so war das mit den Bankkrediten.
    Und weil nun noch dazukam, daß Banken nicht jedermann in den Genuß
einer solchen Buße kommen ließen, ergab sich für Lorenz Mohn – der über kein
Vermögen verfügte, lediglich eine kleine Eigentumswohnung besaß – die
Überlegung, ob es nicht besser sein würde, wegen eines Darlehens bei Frau
Montbard vorzusprechen. Keiner ihrer Kreditnehmer hatte sich umgebracht, keiner
war in den Ruin geschlittert. Blieb allein der markante Umstand, daß auch
keiner von ihnen je ein Wort über die Kreditgeberin verloren hatte, während ja
umgekehrt konventionelle Schuldner ständig ihre Haßtiraden gegen die
Geldinstitute und die ganze Geldwirtschaft verlautbaren.
    Frau Montbard hatte einige der Filme mitproduziert, in denen Lorenz
aufgetreten war. Wozu glücklicherweise nicht derjenige gehörte, dessen letzte
Szene er soeben geschmissen hatte. Was allerdings kein echtes Problem
darstellte, da es ja bloß um eine letzte Einstellung ging, in welcher man nicht
unbedingt Lorenz’ Gesicht sehen mußte. Und auch wenn Männer das gar nicht gerne
hören, muß gesagt werden, daß Schwänze lange nicht so unterschiedlich sind, wie
gerne angenommen wird.
    Lorenz war Claire Montbard bei der einen oder anderen Party
begegnet, aber sie hatten nie ein Wort miteinander gewechselt. Wenn Lorenz
jetzt daran dachte, sich ausgerechnet an diese dubiose Person wegen eines
Darlehens zu wenden, dann aus zwei Gründen. Erstens vermutete er, daß eine Frau
seinen Übertritt von der Pornographie zur Strickware eher verstehen würde. Und
zweitens war ihm die Vorstellung einer mysteriösen Macht, die von dieser Frau
ausging, lieber als das Risiko, welches sich im Falle der üblichen Kredithaie
und kriminellen Geldverleiher ergab. Er fürchtete mehr das Zähneausschlagen als
eine quasi metaphysische Bedrohung. Das war natürlich ein bißchen naiv, sich
vor Dingen zu ängstigen, die man sah, und jene zu unterschätzen, die man nicht
sah. Als wäre die unsichtbare Tiefe eines Gewässers dazu angetan, nicht unterzugehen. Doch Lorenz genehmigte sich eine solche
Naivität. Ja, er würde Claire Montbard um Geld bitten.
    Zuerst aber wollte er ein geeignetes Geschäftslokal finden. Und weil
er das Bedürfnis hatte, soviel wie möglich an diesem einen Tag zu erledigen,
zumindest die wichtigsten Entscheidungen zu treffen, marschierte er durch die
Stadt, vollkommen überzeugt, daß sich ihm der einzig richtige, der einzige in
Frage kommende Laden praktisch von selbst offenbaren würde, daß dieses Geschäft – gleich, was darin bisher untergebracht gewesen war – nur darum existierte, um
diesem einen Zweck zu dienen: Plutos Liebe zu
beherbergen.
    Gerne hätte Lorenz die Augen geschlossen, um sich besser auf den
unsichtbaren Faden zu konzentrieren, der ihn leitete. Leider stand diesem
Ansinnen der Straßenverkehr im Wege, welcher im übrigen so gut wie jedem
Ansinnen im Wege steht. Während nämlich in
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