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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman
Autoren: Heinrich Steinfest
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der Tat eine schicksalhafte Bindung
zwischen Menschen und Orten gegeben ist, eine schnurartige Passage, vor allem
aber auch zwischen Menschen und Menschen sowie Menschen und Tieren, bildet der
Straßenverkehr eine gleichzeitig gottlose wie unnatürliche, von keiner
Evolution vorausgesehene oder eingliederbare Barriere. Der Straßenverkehr ist
sehr viel weniger darum so schlimm, weil er unsere Luft verpestet, sondern weil
er verhindert, daß Dinge und Lebewesen zueinanderkommen, die füreinander
bestimmt sind. Würde der Straßenverkehr fehlen, könnten sich jene Menschen
begegnen, die gemäß einem logischen Plan sich versprochen sind und wie
kosmische Brocken aufeinander zu fliegen. So aber müssen sie ständig dem
Verkehr ausweichen, Umwege nehmen, mit dem Wahnsinn der Fahrer rechnen,
kontrollierte Übergänge aufsuchen…oder sie sitzen selbst in einem Wagen,
fabrizieren selbst die Barrieren, die ein solch fatales Unglück in ihr Leben tragen.
Der Verkehr ist ein Teufelsding, viel schlimmer als der Umweltschutz und die
Parkplatzjammerer meinen.
    Das wußte Lorenz. Zumindest ahnte er es in diesem besonderen Moment.
Rang also um höchste Konzentration. Und versuchte, nach einer jeden durch den Verkehr
erzeugten Unterbrechung den Faden wieder neu aufzunehmen. Denn auch wenn ein
solcher Faden unsichtbar war, so besaß er dennoch eine gewisse Spannung, eine
durch den Zug zwischen A und B sich ergebende Elektrizität. Etwas, was viele
Leute mit Magie verwechselten. Es gibt nichts Übernatürliches, es gibt nur
Dinge, die, will man sie erkennen, ein gutes Meßgerät benötigen. Vielleicht
eines, das noch gar nicht erfunden wurde.
    Lorenz aber folgte auch ohne eine derartige Apparatur dem
angespannten Faden, folgte der Elektrizität und tat dies mit offenen, freilich
in sich geschlossenen Augen, die Beachtung des Straßenverkehrs auf ein
Mindestmaß, ein Überlebensmaß reduzierend. Wobei er zwischendurch immer wieder
erschöpft auf einer Bank Platz nehmen mußte oder sich gegen eine Häuserwand
lehnte. Seine im Laufsport erarbeitete Ausdauer nutzte jetzt nichts. Hier war
eine andere Kondition gefragt. Immerhin konnte er sich solche Pausen gönnen, da
es sich bei seinem Ziel nicht um einen seinerseits bewegten, seinerseits
ständig dem Verkehr ausweichenden Menschen handelte, sondern um ein still auf
seinem Platz stehendes Haus.
    Es war bereits spät am Nachmittag, als Lorenz im Rücken
einer Kirche zu halten kam. Er befand sich im Schatten des Turms wie unter
einem breiten Schiffsrumpf. Von der rechten Seite fiel rötliches Licht auf den
mit Pflastersteinen ausgelegten Boden, ebenso auf die Fassaden nahtlos
verbundener alter Häuser. Der Lärm des Verkehrs kam von der Vorderseite der
Kirche. Hier hinten jedoch durften keine Autos fahren, es handelte sich um eine
reine Zone für Fußgänger und Tauben. Man hätte also auf dieser nicht allzu
langen Straße einen Faden zwischen zwei Menschen spannen können, die sich
sodann kaum noch hätten verfehlen, ja die sich beim besten Willen nicht hätten
ausweichen können. Aber welcher Gott wäre so gütig gewesen, zwei
zusammengehörende Menschen zur gleichen Zeit in eine solche Gasse zu führen?
Ein solches Gäßchen, eine Pflastersteinidylle?
    Mit Häusern war es da einfacher. Lorenz erkannte es sofort, das
kleine Geschäftslokal in dem mit einem kalten, grauen Rosa bestrichenen
schmalen Gebäude, einem einfachen, glatten Bau, der mit erstaunlicher
Kaltblütigkeit zwischen zwei historische Häuser gezwängt worden war, derart,
daß man den Eindruck bekommen konnte, es handle sich um die simple Füllung
einer Lücke, wie man Fugen mit Polyester füllt oder zwei Tortenteile mit einer
Cremeschichte verbindet. Es war also so, daß Lorenz’ zukünftiger Laden zwar an
einem verträumten, weltfernen Ort lag, aber ausgerechnet im einzigen häßlichen
Gebäude der Straße. Das Lokal selbst bestand nach vorne hin aus zwei kurzen
Auslagenscheiben und einer mittigen Eingangstüre, die alle in einen gemeinsamen
Raum wiesen. Dieser leere Raum war nicht ganz so klein, wie es Lorenz erwartet
hatte. Aber sicherlich klein genug. Ganz abgesehen davon, daß er natürlich
genau die Größe besaß, die er besitzen mußte.
    Dem oben auf der Fassade angebrachten Schild nach zu urteilen, war
zuletzt eine Bäckerei hier ansässig gewesen.
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