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Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas
Autoren: DBC Pierre
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eins
    Es ist höllisch heiß in Martirio, doch die Zeitungen auf der Veranda sind voller frostiger Neuigkeiten. Ihr kommt nie drauf, wer am Dienstag die ganze Nacht mitten auf der Straße rumgestanden hat. Kleiner Tip? Denkt mal an die rotzige olle Mrs. Lechuga. Ihre Haut war gekräuselt wie ein Leichentuch im Wind. Schwer zu sagen, ob es am Verandalicht lag, das durch die Weiden fiel, und an den Motten, die darin herum flatterten, oder ob sie wirklich so sehr geschlottert hat. So oder so, als es hell wurde, sah man die Pfütze zwischen ihren Füßen. Hier ist nichts mehr normal, soviel steht fest - die Normalität ist schreiend aus der Stadt geflohen, wahrscheinlich für immer. Ich hab wirklich versucht, das Leben zu kapieren, manchmal kam es mir sogar großartig vor. Doch damit hat sich's jetzt erst mal, nach allem, was passiert ist. Ich meine, was soll das denn für ein Scheinleben sein?
    Heute ist Freitag, und ich sitze im Büro des Sheriffs. Fühlt sich an wie ein Freitag in der Schule oder so. Schule - noch so ein beschissenes Thema.
    Ich hocke zwischen den Lichtfeldern, die aus den Türen in den Gang fallen, und warte. Abgesehen von meinen Schuhen und der Unterwäsche von Donnerstag, bin ich nackt. Sieht ganz so aus, als war ich bis jetzt der erste, den sie drangekriegt haben. Nicht, daß ich irgendwie in Schwierigkeiten wäre, absolut nicht. Mit Dienstag hab ich nichts zu tun. Trotzdem wärt ihr heute lieber nicht an meiner Stelle. Da würde euch nämlich der alte schwarze Typ einfallen, der vergangenen Winter in den Nachrichten war - Clarence Soundso. Der Irre, der die ganze Zeit vor sich hin gedöst hat, und die Kamera immer direkt drauf. Das war in genau demselben holzvertäfelten Gang. Sie haben gesagt, seine Apathie zeigt, wie wenig ihn die Konsequenzen seiner Handlungen kümmern. Wobei mit »Konsequenzen« Axtwunden gemeint waren, wenn ich das richtig verstanden hab. Ol' Clarence war kahlgeschoren wie ein Tier und hatte so 'nen Krankenhausanzug für Psychopa then an, dazu 'ne Brille mit Gläsern wie Flaschenböden, so eine, die Leute aufhaben, bei denen man nur noch Zahnfleisch, aber keine Zähne mehr sieht. Dann bauten sie ihm einen Zookäfig in den Gerichtssaal und verurteilten ihn zum Tode.
    Ich sitz da und stiere auf meine Nikes. Jordan New Jacks, Mann. Ich würd sie ja mit Spucke auf Hochglanz bringen, aber was hätte das für einen Sinn, nackt, wie ich bin. Außerdem sind meine Finger klebrig. Ich könnt schwören, diese Farbe würde einen Atomkrieg überleben - Kakerlaken und diese beschissene Fingerabdrucksfarbe.
    Ein riesiger Schatten wabert durch das dunkle Ende des Gangs, gefolgt von seinem Besitzer, einer Lady. Als sie näher kommt, erfaßt das Licht aus einer der Türen die Bar-B-Chew-Barn-Schachtel, die sie im Arm hält; außerdem einen Beutel mit meinen Klamotten und ein Telefon, in das sie versucht zu sprechen. Sie ist langsam, sie schwitzt, und ihre Gesichtszüge streben auf die Mitte zu - trotz der Uniform eindeutig eine Gurie. Ein anderer Polizist folgt ihr, aber sie wedelt abwehrend mit der Hand.
    »Laß mich das Vorgespräch machen - ich sag dir dann Bescheid, wenn's soweit ist für die offizielle Aussage.« Sie schiebt sich das Telefon wieder vor den Mund und räuspert sich. Ihre Stimme wird scharf und schrill.
    »Ch-chrr, wer sagt denn, daß du ein Trottel bist - ich versuch dir lediglich zu erklären, daß schtass-tistisch gesehen SWAT-Teams die Opferzahlen senken können.« Sie spricht so hoch, daß ihr die Schachtel runterfällt. »Mittagessen«, ächzt sie, als sie sich bückt. »Nur Salat, Pupselchen, ich schwör's.« Dann sieht sie mich und beendet das Gespräch.
    Ich setz mich auf, um zu erfahren, ob meine Mutter gekommen ist. Ist sie nicht. Ich hab's vorher gewußt, so ein schlaues Kerlchen bin ich. Und so verflucht genial, daß ich trotzdem drauf hoffe. Vernon Genie Little.
    Sie läßt die Klamotten in meinen Schoß fallen. »Hier entlang.«
    So viel zu Mom. Wie üblich wird sie in der ganzen Stadt um Mitleid betteln. »Vern ist einfach total am Ende.« Sie nennt mich nur Vern, wenn sie mit ihren Kaffeefreundinnen zusammenhockt und vorführen will, wie verdammt nah wir uns stehen. Hauptsache, niemand kriegt mit, was für peinlich verkorkste Figuren wir abgeben. Ganz ehrlich, wäre meine alte Dame mit Gerauchsanweisung geliefert worden, hätte garantiert dringestanden, daß man ihr am Ende einen Tritt in den Arsch geben soll. Jedem ist klar, daß es letzten Endes Jesus
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