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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman
Autoren: Heinrich Steinfest
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besänftigende Vorstellung war es doch, die Frauen in Zukunft
auf eine ganz andere Weise zu befriedigen. Keine hyperpotente Fickmaschine mehr
zu sein, auch kein Mann, der bloß für eine Nacht
taugte, bloß für einen Orgasmus, der nicht viel
länger dauerte, als dreimal »Grüß Gott!« gesagt zu haben. Nein, Lorenz wollte
als ein Meister der Wolle fungieren, dafür geliebt und verehrt werden, so gut
wie jede Farbe anbieten zu können, und zwar auf engstem Raum. Eng darum, weil
es sich um ein kleines Geschäft handeln mußte.
    Warum denn klein? Lorenz hätte es nicht sagen können, aber so war es
eben. Er schaute in die Zukunft, und dort in der Zukunft sah er halt keinen
großen, sondern einen kleinen Laden.
    Die Frau, die ihn auf diese wundervolle Idee gebracht hatte, legte
nun mit einem sichtbaren Ausdruck des Bedauerns ihr Strickzeug zur Seite, erhob
sich und ging daran, quasi ins Bild zu steigen. Sie setzte sich neben Lorenz
aufs Sofa, zog die Schalen ihres Büstenhalters herunter und klemmte sie in den
Ansatz ihrer Brüste. Dann schob sie Lorenz ihr helles Fleisch entgegen. Der
Regisseur schnitt dazu Grimassen, die ihr signalisieren sollten, daß sie ruhig
ein wenig mehr Leidenschaft zeigen könne und nicht so zu tun brauche, als lege
sie sich einen ungeliebten Säugling an die Brust.
    Lorenz aber konnte die Frau gut verstehen. Wieviel besser war es –
um nun endlich dieses Wortspiel zu verwenden –, zu stricken statt zu ficken.
Und weil Lorenz dies so gut verstehen konnte, wurde ihm jetzt klar, daß er
diese Szene nicht zu Ende spielen konnte. Er hatte bereits das Ufer erreicht,
war kein Schwertfisch mehr. Denn auch wenn ein solches Handarbeitsgeschäft noch
gar nicht existierte, so bestand es bereits in einer theoretischen Weise. Und
eine gute Theorie ist mehr wert als eine schlechte Praxis. Lorenz Mohn war der
sich selbst vorausdenkende Besitzer eines idealen kleinen Ladens, und darum
konnte er nicht mehr der reale Darsteller in einem Pornofilm sein. Das, was
hier geschah, das träumte er bloß. Und aus einem Traum konnte man schließlich
aufwachen. Man brauchte sich nur einzubilden, daß ein Wecker läutete.
    Und genau das geschah in diesem Moment. Der Wecker war nicht zu
überhören.
    Lorenz schob die Frau, die über seinem Unterleib kniete, fürsorglich
von sich herunter. Sie sah ihn verwundert an und erkundigte sich, als sei sie
nicht in einem Film, sondern im wirklichen Leben: »Kommt’s dir schon?«
    Â»Du, ich habe zu tun. Sei nicht böse.«
    Er verabschiedete sich freundlich von den beiden Frauen, wobei er
eine Höflichkeit einsetzte, die sich bereits darauf bezog, es hier mit zukünftigen
Kundinnen zu tun zu haben. Sodann trat er aus der Szene, zog sich an und
verließ den Raum, ohne in irgendeiner Weise auf den geradezu dirigentenhaften
Wutausbruch des Regisseurs zu reagieren. (Allerdings auch nur darum, weil
dieser Mann mit größter Wahrscheinlichkeit niemals zu seiner, Lorenz’,
Kundschaft zählen würde.)
    Lorenz trat hinaus auf die Straße. Es war Juli, so wie man
sagt: Migräne ist kein Spaß. Seit Wochen wackelte das Wetter hin und her, mal
kühl, mal heiß, mal unentschlossen. Die Wetterfühligen fühlten sich verfolgt.
Aber wer hielt sich nicht für wetterfühlig? Es gab fast so viele Wetterfühlige
wie Weinkenner und Fußballalleswisser. Lorenz blickte zu einem klaren blauen
Himmel hoch, welcher aussah, als hätte er nichts anderes vor, als ein paar
Pflanzen zum Sprießen zu bringen und einige Früchte in der warmen Luft zu
backen. Lorenz dachte an sein Geschäft, seinen Laden. Seinen Laden als Liebling
der Frauen.
    Ein Geschäft braucht nun in erster Linie einen Namen. Und weil man
es bei einem Handarbeitsladen glücklicherweise nicht mit einer Gaunerei zu tun
hat, bestand kein Grund, eine dieser harten Kombinationen auszuwählen, die alle
wie »Deutsche Bank« oder »Auf die Knie, ihr versicherten Würmer!« klingen oder
sich in rätselhaften Abkürzungen ergehen. Logischer- und sinnigerweise dachte
Lorenz natürlich wie alle Kleingewerbetreibenden sofort an seinen eigenen
Namen: Mohn. Und ebenso rasch und unbekümmert überlegte er, seinen Laden Mohns Haupt zu nennen.
    Im Spazierengehen aber erinnerte er sich daran, daß doch eine
RAF-Terroristin so oder so ähnlich geheißen hatte. Er persönlich hatte nichts
gegen
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