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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman
Autoren: Heinrich Steinfest
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anhaltende
künstliche Steifheit zu versetzen, ganz in der Art einer zwischen zwei Sesseln
gespannten Person im Varieté), währenddessen also fiel Lorenz’ Blick auf eine
Frau, die im hinteren Teil des Raums in einem Fauteuil saß. Lorenz wußte, daß
es sich um eine weitere Darstellerin handelte, mit der zusammen ein Dreier
geplant war, eine aktionsreiche Verdeutlichung der Krieg-der-Frauen-Thematik.
Eine recht üppige Blondine, deren schwere Brüste in einem fleischfarbenen
Büstenhalter einsaßen. Das war jetzt nämlich wieder Mode, diese BHs aus
Großmütterzeiten, die wie eine Form von Mimikry funktionierten – die Haut
vortäuschend, die sie verbargen. Die Frau machte keine Anstalten,
herüberzusehen, sondern hatte ihren Blick auf das Strickzeug zwischen ihren
Händen gerichtet, auf das kirschrote Wollstück, an dem sie gerade arbeitete.
Schwer zu sagen, was es war. Beziehungsweise was am Ende dieser Arbeit stehen
sollte. Vielleicht ein Schal oder ein Pullover, wohl eher ein Pulloverchen,
etwas für kleine Kinder oder kleine Hunde.
    Seit diesem Moment um vier Uhr morgens, als sich Lorenz entschlossen
hatte, sein Pornodarstellerdasein aufzugeben, war die Frage im Raum gestanden,
was er statt dessen tun würde. Denn leider hatte er es zu keinem Vermögen
gebracht, von dem er hätte zehren können. Abgesehen davon, daß er sich ein
Leben ohne Arbeit nicht vorstellen konnte. Vielmehr war ihm vom Beginn seiner
Entscheidung an klar gewesen, daß er einen Beruf ergreifen wollte, der seinem
bisherigen diametral entgegenstand. Nicht jedoch aus moralischen Gründen, denn
vorzuwerfen hatte er sich nichts. Er hatte in keiner Weise etwas Unanständiges
getan, niemanden geschädigt oder betrogen, so wie es im modernen Geschäftsleben
geradezu zum guten Ton gehörte. Die Filmproduktionen, an denen er beteiligt
gewesen war, hatten niemals den Bereich des Legalen verlassen. Nein, wenn er
sich etwas vollkommen Andersgeartetes wünschte, dann geschah dies im Sinn einer
Evolution, wie bei einem Wesen, das nach einem Leben im Wasser ans Ufer
kriecht, Füße ausbildet und sich in ein Landtier verwandelt. Oder umgekehrt.
Und wenn also zuvor gesagt worden war, Lorenz Mohn sei ein Schwertfisch, so
hatte er jetzt beschlossen, sich zu etwas zu entwickeln, was in keinem Punkt –
zumindest nicht auf den ersten Blick – an einen solchen Schwertfisch erinnerte.
Statt dessen wollte er die Karriere eines Landsäugetiers einschlagen. Und zwar
eines undramatischen Landsäugetiers.
    Der Anblick dieser Frau, die da seelenruhig an einem roten Ding
strickte, während wenige Meter entfernt von ihr eine fiktive Erregung ablief,
an der sie sich auftragsgemäß demnächst würde beteiligen müssen, dieser Anblick
brachte Lorenz auf die richtige Idee. Auf die Idee nämlich, daß es
Stricksachen, Knöpfe, Häkelzubehör, Nähzeug, vor allem aber in sämtlichen
Farben erstrahlende Wollfäden sein würden, die sein zukünftiges Leben bestimmen
sollten.
    Er beschloß also in diesem heiligen Moment, ein Handarbeitsgeschäft
zu gründen, jawohl, einen kleinen, gemütlichen, warmen Laden mit Regalen und
Fächern bis zur Decke, in denen man die ganze Skala der Farben unterbringen
konnte, vom reinsten Weiß bis zum dichtesten Schwarz, von der im Sonnenlicht
gleißenden, schneebesetzten Bergspitze bis zur tiefsten, in ewige Nacht
eingehüllten Stelle im Meer. Genau so würde er es anlegen: in der obersten
linken Ecke das erste Weiß und in der rechten untersten Ecke das letzte
Schwarz. Und dazwischen, in der schönsten Ordnung ihrer Abstufungen, die
Farben, gepackt in weiche, handliche Knäuel. Knäuel, die mehr Zufriedenheit und
Glück in das Leben der Frauen brachten als Männer und Beruf und Fitneß und
Hormone.
    Nicht, daß sich Lorenz plötzlich als Idealist fühlte und eine
Weltrettung mittels des Glücks der Frauen im Sinne hatte. Aber zu einem guten
Laden, einem funktionierenden Geschäft gehörte naturgemäß die Zufriedenheit der
Kundschaft, und diese Kundschaft würde im Falle von Näharbeit und Strickarbeit
und Häkelei und Klöppelspitze nun mal in erster Linie weiblich sein. Ein
Faktum, welches eine bemerkenswerte Verbindungslinie zwischen Lorenz’ alter und
neuer Tätigkeit bildete, eine Achse zwischen den Extremen, einen perfekten
Antipodendurchstoß.
    Welch
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